Die farbigen Quadrate
Wirkung der Farben
Das Einfachste, den Betrachter dazu bringen, sich auf die weiße Fläche einzulassen, sind vielleicht in diesem Zusammenhang farbige Quadrate.
Auf der quadratischen Fläche und im quadratischen Rahmen lenken sie am wenigsten ab. Sie können schon durch ihre Farbigkeit faszinieren, lenken aber dennoch nicht zu sehr von der weißen Fläche ab. Es soll möglichst vermieden werden, dass durch Assoziationen Gedanken in Gang gesetzt werden, aber doch soweit faszinieren, dass der Betrachter dabeibleibt. Die farbigen Quadrate scheinen aus der weißen Fläche heraus zu kommen und wieder hinein zu führten. Ich habe sie meistens so angeordnet, dass sie über ihre farbliche Wirkung hinaus Sinn ergeben, denn auch Sinnerfahrung führt in die Kontemplation. Dazu habe ich verschiedene Möglichkeiten gefunden. Ich kann mit ihnen komponieren, wie man mit Tönen komponieren kann, als reine Musik. Eines meiner Lieblingsbilder hat den Titel „Zu Ehren von W. A. Mozart“. Mit meinen farbigen Quadraten versuche ich, möglichst reine Klänge herzustellen und beim Beschauer zu erzeugen. Das hat Ähnlichkeit mit der Musik, aber Farbklänge und Klänge in der Musik unterscheiden sich. Dazu ein Text von einem zeitgenössischen Künstler:
Einen ebenso direkten und weiten Empfindungszugang wie durch den Laut in der Musik erlaubt die Farbe in der Malerei. Jedoch im Gegensatz zur zeitlichen Eingebundenheit in den Ablauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Musik bleibt die Malerei still gegenwärtig. Dieser Sog der Stille, der von der Malerei ausgehen kann, gehört zu den starken Eindrücken, die sie vermittelt. Subtilsten Empfindungen, die gar nicht in Worte zu fassen sind, wie auch lyrischen Empfindungen bietet die Farbe ihr Spektrum. Daher galt schon immer die Sehnsucht vieler Maler einer Befreiung der Farbe aus der dienenden Funktion, die Form lediglich füllen zu müssen.
Ihrem großen Potenzial gerecht zu werden, bietet sich eine gegenstandsfreie Gestaltung an, um die Farbe wirklich konkret agieren lassen zu können. Die Farbe selbst kann vorrangiges gestaltendes Mittel sein.
Malerei ist ein flächiges Medium. Sie wirkt nicht als ein haptische oder ertastbare feste Form, sondern sie erscheint als erschaubares Bild aus der planen Fläche. Die Auseinandersetzung mit Malerei ist ein geistiger Akt, der direkt von der Farbe zu den Sinnen ausgelöst wird.
Die Atmosphäre einer Malerei, ihre Präsenz, ihr Atem, ihre Sinnlichkeit strahlt aus der ihr eigenen Farbigkeit heraus. Sie wirkt kontemplativ, meditativ. Jo Kuhn
Farbe und Musik
Ich habe einen interessanten Text zu in Bezug auf „Farbe und Musik“ gefunden:
…die Farbe besitzt eine eigene, von der Form, mit der sie sich verbindet, gänzlich unabhängige Ausdruckskraft, die sich tatsächlich so weit steigern kann, dass sie nicht mehr als Form, sondern nur noch als Farbe wahrgenommen wird. Ich glaube, dass es unmöglich ist zu erklären, warum eine Farbe schön ist. Immerhin kann man versuche, den Grund ihrer Schönheit in einer harmonischen Übereinstimmung mit anderen Farben zu sehen oder etwa den Umstand anführen, dass sie uns den Eindruck einer einheitlichen und zugleich diffusen Substanz zu vermitteln vermag. Die ganze Welt als einen großen symphonischen Klang verschiedenfarbiger Flächen zu sehen, ist zweifellos ein wunderschöner Traum – und eben dieser Traum ist die Wirklichkeit des Koloristen. Der erregende oder besänftigende tonale Wert gewisser tiefer, ruhiger, gesättigter Farben ist allenfalls noch der ästhetischen Wirkung der Musik vergleichbar, und genau darum habe ich von einem symphonischen Klang der Farben gesprochen. Denn wie die Musik bringt auch die Farbe kein deutlich bestimmbares Gefühl, sondern einzig und allein grundlegende Empfindungen in ihrer Polarität zum Ausdruck: also nur reine Freude oder ihr genaues Gegenteil, nicht aber eine spezifische Freude oder einen spezifischen Schmerz.
Longi, Roberto: Kurze, aber wahre Geschichte der italienischen Malerei, Köln 1996, S. 70 f
Die Darstellungen mit den bunten Quadraten auf der weißen Fläche haben unterschiedlichen Charakter.
Bei einigen dieser Bilder können Sie einfach mit den Augen über das Bild wandern, können Bezüge zwischen Farben, Größen der Quadrate und deren Anordnung herstellen. Immer neue Farbakkorde entstehen so. Sie können – anders als beim Hören von Musik, immer neue eigene Akkorde und in eigener Geschwindigkeit bilden. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes auf einer Augenweide, auf der Sie sich frei bewegen können. Dabei wird Ihr Denken verlangsamt und es kommt zur Ruhe. Sie kommen zur gedankenfreien Wahrnehmung, zur Kontemplation. Ein Zustand der hellen Wachheit. Sie sind ganz bei sich und dem Bilde. Eine stille Freude kommt auf:
Einige Bilder mit nur einfarbigen Quadraten stellen eine geheime Ordnung dar, die keine bekannte Ordnung widerspiegelt, auch wenn alle Quadrate aufeinander bezogen sind. Wenn Sie sich von dieser Ordnung gefangen nehmen lassen, kommen sie in einen gedankenfreien Zustand:
Andere Bilder haben nur ein Quadrat. Hier können Sie nur das farbige Quadrat in seiner bestimmten Größe an einem bestimmten Ort auf der weißen Fläche auf sich wirken lassen und so zu einer inneren Konzentration und Ruhe kommen oder es stellt sich ein Empfinden von Erhabenheit ein:
Die meisten dieser Bilder haben einen konkreten Ausgangspunkt in der äußeren Wirklichkeit:
Das können bewusste Ereignisse sein, wie Erlebnisse in der Natur, die Auseinandersetzung mit einem Künstler, die Faszination durch ein einzelnes Bild oder in einer allgemeinen Stimmungslage, die nicht so genau festzumachen ist oder archetypische Erfahrungen:
Es schwingt immer ein Hintergrund mit, der mir nicht bewusst ist. Ein Bild steht im Kontext der ganzen Persönlichkeit mit ihrer ganzen eigenen Geschichte. Die Erfahrungen dieser Geschichte verdichten sich in einem konkreten Erlebnis. Dabei ist das ganze Spektrum des Bewusstseins – nicht nur das mythische und rationale, auch das spirituelle – mit im Spiel.
Kunst ist für mich das Sichtbarmachen von etwas Transzendentem, Jenseitigem, und sollt dort auch wieder hinführen. Die Sinne sollen den Betrachter mittels der Kontemplation in einen Zustand jenseits der Sinne führen.
Es gibt aber noch einen ganz anderen Umgang mit diesen Bildern
Durch eine Veränderung meiner Aufmerksamkeit in Bezug auf die weiße Fläche kann eine erstaunliche Bewusstseinsveränderung erzeugt werden. Dazu ein Experiment aus der spirituellen Literatur:
Wie fühlt sich ein Wechsel an?
Schauen Sie sich Abbildung 1 an. Was stellt dieses Bild dar?
Haben Sie gedacht: »Es ist es ein Bild von Vögeln?« Das sagen die meisten Betrachter. Wie ist es, wenn Sie sich das Bild noch einmal anschauen auf eine unbefangene Weise, als ein Bild des Himmels, an dem Vögel fliegen? Wie fühlt es sich an, wenn Sie dazu übergehen, den Raum als Ihr primäres Interesse anzuschauen, statt sich auf die Objekte zu fokussiere? Was nehmen Sie jetzt wahr?
So kann sich ein Wechsel anfühlen.
Diese Übung kann Ihnen ein Gefühl des Perspektivwechsels vermitteln, zu dem es von einem Moment zum anderen kommen kann. Wir verändern nicht nur unsere Art der Wahrnehmung, sondern auch den Ort des Wahrnehmenden.
Das gleiche Experiment kann man in Bezug auf die farbigen Quadrate und die weiße Fläche des Hintergrundes gemacht werden. Ihr Gewahrsam verlagert sich von ihren Augen und ihrem Kopf auf den weißen leeren Raum und sie schauen von diesem Raum aus. Sie bilden eine Einheit mit diesem Raum und den sich darin befindlichen Quadraten. Ihr Denken ist zur Ruhe gekommen. Sie erfahren die Leere.