Meine schwarzen Quadratbilder II
Die Silhouette der Kirche ist ohne jede Individualität. Es ist die Kirche. Sie kann für die Kirchen aller Konfessionen stehen.
Die Kirche ist in Gefahr, nach links unten abzurutschen, aus dem Leben heraus.
Die Kirchen sind weitgehend leer und ihre Mitgliederzahlen schrumpfen. Die Ursachen dafür werden von den Kirchen meistens außen gesucht. Ich bin aber überzeugt, dass die Hauptursachen bei ihnen selber liegen. Nicht ihre äußeren Formen stimmen nicht mehr – das sicher auch oft –, ihre Lehre kann nicht mehr vermittelt werden, die Ideologie stimmt nicht mehr. Ein wichtiger Punkt dabei ist die sogenannte „Satisfaktionslehre“, die Vorstellung, dass Gott seinen eingeborenen Sohn grausam hinrichten ließ, um die Menschen zu retten. Nur so konnte er zufrieden gestellt werden. Nicht nur, dass hier noch in mythischen Bildern gedacht wird, ein solcher Gott kann auch nicht als liebender Gott verstanden werden. Diese Opfertheologie geht vor allem auf Paulus zurück und hat mit dem Gott, den Jesus von Nazareth gepredigt hat, nichts zu tun. Für ihn war Gott der „Abba“ der liebende Vater.
In den Evangelien können zwei unterschiedliche Erzählungsstränge gelesen werden.
Der eine beinhaltet die Botschaft des Reiches Gottes, das immer schon unter uns weilt. Jesus ist derjenige, der sich dessen voll und ganz bewusst wurde und in zahlreichen Parabeln diesen Umstand darlegt. Er gipfelt in der Aussage der Einheit von Gott und Schöpfung, wonach der Vater und ich eins seien. Da sich Jesus diesbezüglich mit der religiösen Führungsschicht in offene Konflikte begeben hat, versucht diese ihrerseits – laut den Evangelien – ihn, von der Menge der Menschen unbemerkt, umzubringen. In dieser Erzählung ist Jesu Tod die Konsequenz seiner gegen die herrschende Nomenklatura vorgebrachte Lehre. Hingegen stellt der zweite Erzählstrang den Tod Jesu in die Mitte seiner irdischen Erscheinung als Sohn Gottes und stellt ihn, gemäß des jüdischen Versöhnungsrituals Jom Kippur, als den einzigen und wahren Sündenbock dar. In diesem Erzählstrang wird dem Reich Gottes keine Gegenwart und Einheit mehr zuteil. Sie verschieben sich in die jenseitige Zukunft, die nach dem Weltgericht für die Gerechten zugänglich werde, zu denen sich bereits diejenigen zählen können, die an Jeus als den Erlöser glauben. Liest man die Evangelien aus dieser Perspektive, so wird verständlich, dass die zwei Erzählstränge nahezu im Widerspruch zueinander stehen. Entweder Einheit und Gegenwart oder Trennung und Dualität. Genau so kann man auch den theologischen Ansatz von Meister Eckhart verstehen. Er verzichtet nahezu gänzlich auf die Kreuzestheologie und vertieft den Erkenntnisweg der Einheit und der Gegenwart. Das war zu seiner Zeit sehr mutig. Wie er das formulierte, war und ist immer noch einfach nur brillant. Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila pendeln mit ihren Aussagen zwischen diesen beiden Polen und können daher sowohl von den Mystikern wie auch von den kirchennahen Theologen gleichermaßen beansprucht werden. Die katholische und die evangelische Kirche haben sich, mit etwas unterschiedlichen Schwerpunkten, auf die zweite Variante der evangelischen Erzählungen festgelegt und diese mit fast allen Mitteln verteidigt und durchgesetzt.
Poraj-Zakiej, Alexander: Das Willigis-Jahrhundert, Holzkirchen 2020, S. 153-159
Die Kirchen hätten die Aufgabe, auf die transzendente Wirklichkeit hinzuweisen, auf das Reich Gottes, das in uns erfahrbar ist. Die eingegrabene Linie, die die Kirche auf der schwarzen Fläche des Bildes darstellt, ist weiß. Sie weist auf die unter der schwarzen Fläche liegende weiße hin, die die Jenseitigkeit in unserer Wirklichkeit darstellt. Diesen Hinweischarakter müssten die Kirchen haben. Sie geben – wie auch schon Jesus den religiösen Führern seiner Zeit vorgeworfen hat – den Menschen aber Steine statt Brot. Die gängigen Lehren der Kirchen sind für die normalen Menschen unserer Gesellschaft nicht mehr zu kauen.
Ende 2012 sind einige Menschen aus meinem Bekanntenkreis gestorben, u. a. der geschiedene Mann meiner Frau. Es kann sein, dass das Bild damit etwas zu tun hat. Angeregt wurde es durch die bunten Vögel auf unseren Bettbezügen.
Wie ich das Bild genau deuten soll, weiß ich nicht. Die Vögel sehen nicht sehr gefährlich aus und fliegen durcheinander. Keiner weiß, wo sich einer niederlassen wird. Auch die Totenvögel haben einen weißen Hintergrund und gehören zur ganzen Wirklichkeit. Sie erinnern uns daran, dass wir sterben werden.
„Als ich in die Welt kam, oder vielmehr: als die Welt in mich kam, war ich für die anderen ein kleines Baby. Für mich selbst jedoch war ich grenzenlos. Ein Baby ist Raum, in dem sich die ganze Welt ereignen kann – eine chaotische Welt, ja, aber ein weite Welt. Ich kam als der Große hinein.
Im Laufe der Jahre begann ich dann einen Kleinen dort im Spiegel zu bemerken. Er tauchte immer wieder dort auf und starrte mich an. Er kam mir vor wie ein sehr anhänglicher Freund, wie ein treuer, mir stets hinterher laufender Hund.
Zunächst ist jenes Gesicht im Spiegel nicht unser Gesicht. Es ist unser kleiner Kamerad, den wir nicht kennen, mit dem wir uns langsam anfreunden, mit dem wir spielen.“
„Dann kommt das zweite Stadium, in dem wir immer noch Unendlichkeit sind, aber aus sozialen Gründen haben wir gelernt, in den Spiegel zu schauen und zu sagen: »Ja, das bin ich« .. Eltern und Geschwister und so genannte Erwachsene reden uns ständig ein: »Das bist du!« Auch ich kaufte ihnen das ab. Ich stimmte zu, dass ich, Douglas, der im Spiegel war. ..Wenn wir im selben Alter jedoch fröhlich waren und uns in unserem natürlichen Zustand befanden, uns wohl fühlten und nicht unter Druck standen, dann waren wir immer noch der Große, absolut weit und offen für die Welt und nicht begrenzt durch jenes Gesicht. Das ist eine glückliche, gesegnete Zeit – von vier, fünf, sechs Jahren bis vielleicht zehn, elf, zwölf. Das schwankt ziemlich stark. Du bist dem menschlichen Verein beigetreten, aber du hast noch nicht den ganzen Mitgliedsbeitrag bezahlt.“
Diese Zeichnung demonstriert sehr gut, wie der Heranwachsende der Vereinnahmung durch die Erwachsenenwelt zeitweilig noch entkommt. In seinem offenen Bewusstsein kann er frei sein. Er kann der Alltagswelt entkommen gegen alle Regeln des rationalen Verstandes. Er reitet auf der Sternschnuppe einfach in die „falsche“ Richtung in die offene Weite des Alls. Auch Heiliges gibt es für ihn nicht. Er benutzt seinen Heiligenschein wie eine Kappe, mit der er den Zurückbleibenden fröhlich winkt.
Wie hat Boddhidarma, der den Buddhismus nach China gebracht hat, dem Kaiser auf die Frage nach der letzten Wahrheit geantwortet?
Unendliche Weite, nichts Heiliges.
Boddhidarma
„Aber was ist der ganze Beitrag? Das ist das dritte Stadium, und es ist unglaublich, absolut unglaublich. Es kann als etwas Großartiges beginnen, aber es wird verrückt und höllisch. Was ist dieses dritte Stadium? Es ist dies: Wir löschen den Großen einfach aus, als hätte er niemals existiert. Es ist unglaublich. Wir nehmen den Raum heraus und werden unser Gesicht. Wir werden zum Kleinen. Wir schrumpfen von einer Weite – so weit wie die weite Welt – zu dem zusammen, wie wir aussehen. Dies ist es, was dem heranwachsenden Kind passiert. Ist es da verwunderlich, dass Teenager wütend und zornig sind, ohne zu wissen warum? Der Grund dafür ist, dass sie von einer Weite – so weit wie die weite Welt – zu jenem Kleinen im Spiegel zusammengeschrumpft sind. Sie haben ihre Unendlichkeit verloren.
Es ist ein Stadium, das wir alle durchlaufen müssen, und es ist die Hölle. Weil ich meine reine Kapazität ausgelöscht habe, stehe ich gegen die Welt. Ich konfrontiere die Welt. Ich habe hier ein Ding bekommen, das meinen Raum blockiert. Ich habe hier einen Block bekommen, einen Block in doppeltem Sinn. Ich werde ein Verdammter, weil der Kleine ja stirbt. Es ist die Hölle. Und es ist unwahr, es ist alles nur eingebildet. Die Hölle ist das Produkt einer sehr, sehr starken, sehr lebhaften und ungeordneten Fantasie. Es ist ein Missverständnis, eine soziale Fiktion, aber, meine Güte, es ist in einem anderen Sinne auch so real. ..Also, das ist das tragische dritte Stadium: Ich bin, wie ich aussehe.
Das vierte Stadium… ist etwas vollkommen Einfaches, Offensichtliches. Was ist es? Es ist die Unendlichkeit hier. In Wirklichkeit haben wir dieses Stadium ja nie verlassen. Das dritte Stadium war ein Traum, ein Albtraum. Was ich gesehen habe, indem ich den Großen aufgesetzt habe, ist das, was ich für mich selbst bin – grenzenlos, geräumig, unvergänglich, weit geöffnet, makellos und wach. Das ist es, was ich hier bin. Das Gesicht im Spiegel ist das, wie ich dort aussehe. Und die Entfernung zwischen den beiden beträgt ungefähr einen Meter.
Das sind also die vier Stadien: das Kleinkind, das so grenzenlos weit wie die Welt ist; das Kind, das genau so und nicht anders ist, sich aber aus sozialen Gründen damit einverstanden erklärt, zu jener kleinen Kreatur zu schrumpfen, die ein doppeltes Spiel spielen muss; der Erwachsene, der zu jenem Kleinen wird; und der Sehende, der Große, der hier wach ist.
(Harding, Douglas E.: Die Entdeckung unserer wirklichen Natur, Berlin 2002, S. 61- 63)
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich einkehren“
Jesus von Nazareth
„Glaubst du du bist noch zu klein um große Fragen zu stellen? Dann kriegen die Großen dich klein noch bevor du groß genug bist.“
Erich Fried, Kleine Frage
Wir müssen wieder zu der Offenheit des Kindes zurückfinden.
Aus: Hoffmann, Kaye: Tanz durchs Labyrinth: heilsame Verwirrung: sich verlieren, um sich zu finden, Oldenburg 1994
Was die Menschen vor 8000 Jahren mit dieser Zeichnung verbunden haben, wissen wir nicht. Das Bild gibt aber sehr schön wieder, um was es auf dem Weg zur Erleuchtung geht. Wir müssen die Köpfe verlieren. Der große Vogel, vielleicht ein Symbol für das Geistige, pickt die Köpfe ab.
Der beste Tag meines Lebens – mein Wiedergeburtstag sozusagen – war, als ich merkte, dass ich keinen Kopf hatte. Das ist kein literarischer Schachzug, keine geistreiche Bemerkung, um damit um jeden Preis Interesse zu wecken. Ich meine das mit vollem Ernst: Ich habe keinen Kopf.
Douglas Harding (englischer Religionsphilosoph und Mystiker)
Meine Seele wurde fortgetragen und gewöhnlich auch mein Kopf, ohne dass ich in der Lage war, das zu verhindern.
HI. Teresa von Avila (spätmittelalterliche christliche Mystikerin)
Enthaupte dich selbst! Löse deinen ganzen Leib ins Sehen auf: werde sehen, sehen, sehen!
Rumi (größter persischer Dichter und Mystiker)
Wenn man die Augen aufmacht und den Körper sucht, kann man ihn nicht mehr finden. Das nennt man: In der leeren Kammer wird es hell. Innen und außen, alles ist gleich hell. Das ist ein sehr günstiges Zeichen.
Das Geheimnis der Goldenen Blüte
Gib dich völlig . Sogar wenn der Kopf selber weggegeben werden muss, warum solltest du deshalb weinen?
Kabir
Dem, der nichts weiss, wird es klar enthüllt.
Meister Eckart (1260-1327)
Aus: Hoffmann, Kaye: Tanz durchs Labyrinth: heilsame Verwirrung: sich verlieren, um sich zu finden, Oldenburg 1994
Diese Zeichnung der Indianer aus dem Mennomini-Gebiet ist zunächst mal unverständlich. Was die Indianer genau damit ausdrücken wollten, in welchem Zusammenhang es verstanden wurde, wissen wir nicht genau. Kaye Hoffmann sagt dazu (Ausschnitte aus ihrem Text):
„Am Anfang meiner ganz persönlichen Betrachtung über die Entwicklung und Ausgestaltung des Labyrinths als abendländischer Beitrag zur symbolisch-metaphorischen Bildergeschichte des menschlichen Bewusstseins steht diese Felszeichnung aus Michigan, Mennonini territory, USA.
Es ist eine kopflose Gestalt, die durch eine Art Nabelschnur mit einem sonnenähnlichen Wesen verbunden wird. Wenn ich mir diese Gestalt anschaue, erinnere ich mich an eigene Erfahrungen, zum Teil unter Drogen, die mich an der lichten und leuchtenden Natur der Dinge in dieser Welt teilnehmen ließen.“
„Im normalen und durch unsere Wahrnehmungsgewohnheiten genormten Alltagsbewusstsein unterscheiden wir zwischen belebter und unbelebter Materie. Und auch der belebten Materie, unter anderem unserem eigenen Körper, ordnen wir eine feste, klar umrissene und nur wenig veränderliche Gestalt zu.“
„Der Geist bildet die Form, die sich materiell zeigt, sich in Materie manifestiert. Der Geist kann sein eigenes Wesen erkennen, wenn er seine Herkunft erkennt. Der Geist erkennt sich in den von ihm geschaffenen Formen. Wir in der Welt bilden zusammen diese Muster veränderlicher Schwingungsgestalten. Es kommt auf uns an. Wir sind mit der Welt, mit allem verbunden durch diesen gemeinsamen Nenner unserer Herkunft und unserer Bestimmung. Ich bin Licht. Du bist Licht.- Wenn wir dies gemeinsam denken, entsteht eine Auflösung der Gewohnheiten, die uns an die Annahme fester, unveränderlicher Weltgestalten bindet.“
„Aber warum ist die erste Gestalt kopflos? Viele schamanische Trance-Reisen haben das Verschlungenwerden zum Thema. Auch wird von dem Erlebnis berichtet, ein Tiergeist hätte dem Reisenden den Kopf abgerissen, ihn gespalten oder gefressen. Trotzdem bleibt ein Restbewusstsein, das als Zeuge dieses wahrnimmt, so dass der Reisende später davon berichten kann. Sind die prähistorischen Abbildungen solche Zeugnisse?
Die kopflose Gestalt ist mit der Lichtquelle verbunden. Die Verbindung geht über eine Schnur zum Bauch, was die Assoziation einer Nabelschnur nahelegt. Gleichzeitig wird von Meditierenden berichtet, dass im Bauch eine Art Urerinnerung an eine solche kosmische . Verbundenheit gespeichert ist, so dass dort eine andere Art von Wissen und Weisheit vorherrscht als die im Kopf. Die Japaner sprechen von Hara, was wörtlich Bauch bedeutet und gleichgesetzt wird mit einer Kraft, die sich aus dem Wissen um die kosmische Verbundenheit speist. Im Hara ist der, der ganz bei sich ist und in seiner Mitte ruht – eine Fähigkeit und Eigenschaft, die vor allem in den Kriegskünsten der Samurai und auch in Bezug auf die modernen Leistungsansprüche ihre Bedeutung erhält.
„Das unmittelbare Wissen um die kosmische Verbundenheit zeigt sich durch Instinktsicherheit.“
„Klarheit und Ordnung resultieren daraus; obwohl die Erfahrung selbst verwirren muss. Dieses scheinbare Rätsel löst sich auf, wenn wir unterscheiden, was sich verwirrt, und was sich klärt: Verwirrend ist die unmittelbare Erfahrung der Weltverbundenheit, wenn wir von den auf Absicherung und Beständigkeit hin ausgerichteten Alltagsgewohnheiten ausgehen. Klärend ist sie hingegen, wenn wir uns auf einer tieferen Ebene als kosmische Wesen verstehen und durch die Erfahrung darin bestätigt werden.“
(Soweit die Auszüge aus dem Buch von Kaye Hoffmann.)
Von unserem Thema der Kopflosigkeit her, lassen sich zu diesen Betrachtungen leicht Parallelen zeigen:
Das letzte, was wir bei der Suche nach unserer wahren Natur gefunden haben ist unser Gewahrsein. Im Gewahrsein erleben wir den Raum des Kopfes als große Weite und als Raum der Verbindung mit dem einen Bewusstsein, in dem alles verbunden ist. Auf diesen hellen Raum, der auch als helles Licht erfahren wird, kann das sonnenähnliche Gebilde der kopflosen Gestalt hinweisen. Und wenigstens genauso interessant: die nabelschnurähnliche Verbindung mit dieser herz- oder bauchförmigen Form und die Interpretation durch Kaye Hoffmann. Sie unterstreicht die Bedeutung für unsere Erkenntnis durch Intuition.
Die Intuition ist ein göttliches Geschenk, der denkende Verstand ein treuer Diener. Es ist paradox, dass wir heutzutage angefangen haben, den Diener zu verehren und die göttliche Gabe zu entweihen.
Albert Einstein
Der Titel stammt von dem afrikanischen (Zair) Künstler selbst. Ich habe das Bild in der Zeitschrift „Art“ 7/91 auf S. 91 gefunden. Hinter den Titel stand „eher liebevoll als missbilligend betrachtet im Jahr 1983“. Diesen liebevollen Blick hatte auch ich auf dieses Bild. Ich habe es ausgeschnitten und mittig auf ein schwarzes Quadratbild geklebt. Um das Bild habe ich mit etwas Abstand eine weiße Furche gezogen.
Das heimliche lustvolle schauen der Jungen auf die sich waschenden oder badenden nackten jungen Frauen ist vielleicht noch halb eine Erinnerung an ihre Mütter, aber wahrscheinlich noch mehr ein Versprechen auf die erotische und sexuelle Erfüllung verheißende Zukunft. Die Szene verweist über sich hinaus auf eine der großen Glückserfahrungen, die ein Mensch machen kann und damit auf das Transzendent-Göttliche.
Die weiße Furche stellt das Bild in diesen transzendenten Rahmen.
Bei meinen schwarzen Quadratbildern liegt ja unter der schwarzen Farbschicht eine weiße, die das Jenseitige symbolisiert.
Sexualität war in der christlichen Tradition häufig vom Teufel und musste bekämpf werden. Besonders schwer hatten es die Menschen damit, die keusch leben mussten. Ihnen war die sexuelle Wonne verboten.
Pater Ignation, ein Mönch auf dem Berge Athos, berichtet über seine Erfahrung:
„Die Frau und nicht das Gebet führe Gott in mein Zimmer“
(Der folgende Bericht ist ein Ausschnitt aus einem Bericht aus dem Buch „Christentum“ von Hubertus Halbfas, S. 206-209): Eine Zeit lang schwieg er, als bereue er seinen Entschluss. „Pater Ignatius“, sagte ich, „zögere nicht, sprich frei, aufdass es dich erleichtere.“
„Es ist kein Schmerz“, sagte er. und plötzlich gewann seine welke Stimme an Kraft, „es ist nicht der Schmerz, es ist Freude. Eine verfluchte Freude? Eine gesegnete? Jahrelang quäle ich mich, es zu klären, ich vermag es nicht: deswegen rief ich dich her, ich brauche Hilfe: begreifst du?“
Als er diese Worte gesprochen hatte, öffnete sich sein Herz, er zögerte nicht länger. schlug das Kreuzeszeichen, und ohne mich anzuschauen, mit dem Blick auf die Öllampe, die ihm gegenüber neben der Ikone des Gekreuzigten brannte, begann er:
„Ich habe jahrelang Gott gesucht, mein Sohn, und sah ihn nicht. Jahrelang fiel ich auf die Knie, sieh meine Hände, sie sind voller Schwielen. jahrelang bat ich: Gut, falls ich unwürdig bin, soll ich Gott nicht sehen. Ich soll ihn nicht sehen, doch lass mich nur seine Gegenwart spüren, auf das ich mich freue, sei es auch nur für einen Augenblick, auf dass ich mich als Christ fühlen kann und meine Jahre im Kloster nicht vergebens gewesen seien. Ich bat, ich weinte, ich fastete; vergebens, vergebens! Mein Herz konnte sich nicht auftun, damit Gott eintrete. Satan hat es verschlossen und behielt den Schlüssel.“ Dann fuhr er, ohne zu stocken, fort:
„So quälte ich mich viele Jahre lang und spürte, dass mein Leben verloren ging. Das Gebet nützte nichts, nicht das Fasten, die Einsamkeit. Mir kam mit Entsetzen der Verdacht, das sei nicht der Weg, der mich zu Gott führe. Ein anderer sei der Weg, ein anderer, doch welcher? Bis eines Tages der heilige Abt mir antrug. die Aufsicht in einem Besitz des Klosters bei Thessaloniki zu übernehmen. Es war Sommer. Erntezeit. und ich musste dort sein, damit die Pächter uns nicht betrögen.“
Zwanzig Jahre hatte ich das Kloster nicht verlassen, keine Menschen mit Kindern gesehen. kein Lachen gehört, keine Frau erblickt.
Es war sehr heiß in der Ebene, und ich erst etwa vierzig Jahre alt. Einundzwanzig Jahre lang war ich gefangen gewesen. nun hatten sich die Tore des Gefängnisses aufgetan, und ich atmete frische Luft. Ich hatte vergessen, wie Kinder spielen. sich auf der Erde balgen, Frauen mit dem Wasserkrug auf der Schulter zum Brunnen gehen und junge Männer mit einem Basilikumzweig hinterm Ohr in den Tavernen Wein trinken.
Eine Frau vor dem Tor der Klosterbesitzung hielt ihr Kleines im Arm und stillte es. Einen Augenblick lang glaubte ich – Gott verzeihe mir -, dass sie die Jungfrau Maria sei, und ich wollte mich beugen und sie anbeten. Ich sage dir, ich hatte zwanzig Jahre lang keine Frau gesehen, ich war verwirrt. Und sie, als sie mich erblickte, knöpfte ihre Bluse zu, bedeckte ihre Brust und bückte sich, mir die Hand zu küssen.
„Sei willkommen, Pater Ignatius“, sagte sie, „wir bitten um deinen Segen.“ Doch ich weiß nicht, warum ich zornig wurde, ich entzog ihr meine Hand. „Stille nicht vor den Männern“, rief ich aus, „geh hinein!“ Sie errötete, zog das Tuch, das ihren Kopf umhüllte, herab und verdeckte ihren Mund und ohne ein Wort zu sagen, ging sie erschrocken ins Haus.«…
Seitdem ich die Brust der Frau gesehen hatte, konnte ich keine Ruhe mehr finden. Ein großer Asket, der heilige Antonius, sagt: „Hast du Ruhe und hörst du plötzlich eine Stimme eines Sperlings, so hat dein Herz nicht mehr seine alte Ruhe.“ Wenn also die Stimme des Spatzen unser Herz aufwühlt, wie viel mehr die nackte Brust einer Frau! Und vergiss nicht, dass ich sehr jung ins Kloster eingetreten war und keine Frau gekannt hatte, was heißt gekannt? Ich hatte keine Frau berührt. Was sollte ich nun tun? Wie sollte ich Satan bannen? Ich widmete mich dem Fasten und dem Gebet, ich nahm den Ochsenzimmer und peitschte meinen Körper, bis er eine einzige Wunde war. Vergebens, vergebens! Verblasste das Licht der Öllampe, sah ich im Halbdunkel eine weiße Brust schimmern.
Diese Frau, die ich am ersten Tag an der Schwelle gesehen habe, brachte mir jeden Abend einen Teller Essen und einen Becher Wein; sie kam morgens und trug alles wieder fort.
Sie blieb einen Augenblick stehen, als wolle sie mich fragen. warum ich nichts zu mir nehme, doch sie wagte es nicht. Aber eines Abends – es war Sonntag, und sie war nicht müde von der Feldarbeit wie an den Wochentagen, sie hatte ihr Haar gewaschen und trug Sonntagskleider – ich weiß nicht: ein Mieder mit roter Stickerei; es war heiß, und ihr Hemd stand ein wenig offen, so dass ihr Hals einen Finger breit zu sehen war. Und sie dürfte ihr Haar auch mit Lorbeeröl gesalbt haben, so wie es die Frauen auf den Dörfern tun, denn sie roch danach. Ich weiß nicht, warum sie mich an die Kirche zu Ostern erinnerte. wo wir sie mit Myrten schmücken und Myrtenzweige auf den Boden streuen: die ganze Luft roch nach Lorbeer und Auferstehung.
Sie stellte den Teller und den Wein auf den Tisch und fasste auf einmal – wer weiß warum, vielleicht, weil sie gebadet hatte, weil sie ausgeruht war, vielleicht kann das Bad und der Duft und ein offenes Knopfloch dem Bösen helfen, einen Menschen zu versuchen – sie fasste also Mut und ging an diesem Abend nicht sofort weg, sie blieb stehen.
„Warum isst du nichts mehr, Pater Ignatius?“ fragte sie, und ihre Stimme verriet Mitleid und Sorge.
Wirklich, es war, als habe sie ihren Sohn tagelang nicht stillen können und sei nun besorgt. dass er krank ist.
Ich antwortete ihr nicht. Sie aber blieb; sie blieb. Weißt du warum? Du bist noch jung. und du weißt es nicht; denn der Teufel im Leib der Frau schläft nie: er ist rastlos tätig.
„Du magerst ab. Pater Ignatius“, sagte sie weiter. „Auch der Körper ist von Gott, wir müssen ihm Nahrung zuführen.“ „Geh hinter mich, Satan,“ murmelte ich im Stillen und hob nicht die Augen, um die Frau anzusehen.
Und plötzlich stieß ich einen Schrei aus, als ersticke ich: „Geh!“ Die Frau erschrak, lief zur Tür. Doch als ich sie der Tür nähern sah, dachte ich mit Entsetzen daran, dass sie gehen würde, stürzte mich auf sie und packte ihr Haar. Ich pustete die Öllampe aus, dass der Gekreuzigte nicht zusehen sollte, sie erlosch. Die Finsternis ist die Wohnung des Satans. Ich hielt sie noch am Haar, warf, warf sie auf die Bettstelle. Ich brüllte wie ein Kalb; sie schwieg, ich riss ihr Kopftuch ab, knöpfte hastig ihre Bluse auf …
Wie viele Jahre sind seitdem vergangen? Dreißig? Vierzig? Nichts ist vergangen: die Zeit ist stehen geblieben. Hast du jemals die Zeit stehenbleiben sehen? Ich habe es gesehen. Dreißig Jahre knöpfte ich ihre Bluse auf und es nimmt kein Ende. Bis zum Morgengrauen hielt ich sie bei mir und ließ sie nicht gehen. Was war das für eine Freude, mein Gott, für eine Erleichterung! Für eine Auferstehung! Mein ganzes Leben war ich wie gekreuzigt gewesen, in jener Nacht bin ich auferstanden. Und noch dies Fürchterliche und das allein ist, glaube ich, meine Sünde, und deswegen habe ich dich hierhergebeten, dass du es mir erklärst, dies Fürchterliche: Zum ersten Mal fühle ich Gott zu mir kommen mit offenen Armen. Was war das für eine Dankbarkeit, was für Gebete die Nacht hindurch bis zum Morgengrauen. Wie ist mein Herz aufgegangen, damit Gott eintrete. Zum ersten Mal begriff ich, wie allgütig Gott ist und wie sehr er die Menschen liebt: und wie sehr sie ihm am Herzen liegen, dass er für sie die Frau geschaffen und ihr so große Gnade verlieh, uns durch den sichersten und schnellsten Weg ins Paradies zu führen. Stärker ist die Frau als das Gebet und als das Fasten und, verzeih mir, mein Gott, auch als die Tugend.
Er hielt inne, erschrak über seine Worte, warf einen furchtsamen Blick auf den Gekreuzigten, und zwei Tränen rollten aus seinen kleinen tiefliegenden Augen.
„Ich habe gesündigt. mein Christus!“ stöhnte er und schloss die Augen, um die Ikone nicht zu sehen.
Bald kam er zu sich, sah mich an. Ich wollte reden, wusste aber nicht, was ich sagen sollte, doch die Stille war mir unerträglich; und die Tränen. die von den Augen des alten Mannes flossen, erschreckten mich. Bevor ich ein Wort sagen konnte, streckte er die Hand aus, als wollte er mir den Mund zuhalten.
„Ich bin noch nicht zu Ende“, sagte er. „Warte … Als der Morgen graute, stand die Frau hastig auf, zog sich an, öffnete die Tür und ging. Ich blieb auf dem Rücken liegen, schloss die Augen und gab mich einem stillen Weinen hin. Doch die Tränen waren diesmal nicht bitter wie Gift – wie jene, die ich in meiner Zelle vergossen hatte -, sie waren von einer unsagbaren Süße, denn ich spürte, Gott war in mein Zimmer gekommen und beugte sich über Mein Kissen; ich war sicher, wenn ich die Hand ausstrecken würde, könnte ich ihn berühren; doch ich war kein ungläubiger Thomas, ich brauchte nicht die Hand auszustrecken, um ihn zu berühren. Die Frau, die Frau und nicht das Gebet, ich sage es wieder, nicht das Gebet, gab mir diese Sicherheit, führte Gott in mein Zimmer, gesegnet sei sie.
Seit jener Nacht, es sind dreißig, vierzig Jahre her, sitze ich und denke nach: Ob nicht auch die Sünde Gott dient? Ich weiß, ich weiß, was du mir sagen wirst, das sagen alle: Ja, sicher, es genügt zu bereuen. Doch ich habe nicht bereut: ich sage offen, und sollte der Blitz Gottes auf mich fallen und mich verbrennen, ich bereue nicht! Und stände ich vor der Wahl, es wieder zu tun, so würde ich es wieder tun.“
Er nahm seine Mütze ab, kratzte sich den Kopf, das weiße Haar fiel herab und verdeckte sein Gesicht. Er blieb eine Weile nachdenklich: ich spürte, dass er zögerte, fortzufahren. Doch schließlich fasste er den Entschluss.
„Ist vielleicht das, was ich getan habe, doch keine Sünde? Wenn es aber so wäre, was heißt denn dann Erbsünde und Schlange und Apfel von dem verbotenen Baum? Ich begreife es nicht. Deswegen habe ich dich gerufen. Kannst du es begreifen? Deswegen habe ich dich gerufen. Ich will nicht sterben, mein Leben hängt noch an zwei, drei Knochen, ich will nicht sterben, bevor ich begriffen habe.“