Claude Monet 1840 – 1926
„Seerosen am Abend“ ist eine Ausnahme unter den Hunderten von Seerosenbildern, die Monet in einer bestimmten Periode seines Schaffens gemalt hat. Bei den meisten Bildern ging es ihm darum, den Augenblick einer Landschaft oder eines Motivs im Wechsel der Tageszeiten und von Sonne und Wolken zu erfassen. Da sich die Lichtverhätltnisse jeden Augenblick änderten, stellte er häufig eine ganze Anzahl von Leinwänden auf und eilte von einer zur anderen, um die genauen, vom Licht erzeugten augenblickliche Impression festzuhalten. Dieser Kampf trieb ihn manchmal fast zur Verzweiflung und machte ihn ständig mit seiner Arbeit unzufrieden. Seerosen am Abend ist – anders als seine oft riesigen Seerosenbildern, mit denen z. B. der gesamte Pavilon Orangerie in Paris ausgestattet ist, nur ein kleiner Ausschnitt aus seinen großen Seerosenteichen seines Anwesens in Giverny nahe bei Paris und das noch am Abend.
Dieses Bild gefiel mir wohl besonders, weil es sehr schlicht ist und es ihm gelungen ist, die Stimmung und die Ruhe des Abends wieder zu geben. Seine Pinselstriche sind, den Lichtverhältnissen des Abends angepasst, vielleicht ungenauer als sonst und die Farben zurückhaltender. Grün- und Blautöne bestimmen das Bild. Umso mehr strahlen die zwei rosa Blüten, obwohl auch sie in der Helligkeit zurückgenommen sind. Das Bild tut mir gut und macht mich froh.
Claude Monet wurde 1840 in Paris geboren. Sein Vater stammte aus der normannischen Hafenstadt Le Havre, seine Mutter aus Lyon. Als er fünf Jahre alt war, zog die Familie in die Normandie. Er starb 1926 auf seinem Anwesen in Giverny, einem kleinen Dorf bei Paris.
Monet gilt als eigentlicher Gründer des „Impressionismus“. In den ersten Jahrzehnten seines Schaffens stieß er in der öffentlichen Kunstszene in Paris aber auf heftigen Ablehnung und Verachtung. Das führte dazu, dass er kaum die Mittel hatte, zu überleben. Er und seine Familie waren oft am Rande des Verhungerns. 1848 sagte er: „Ich bin keine Anfänger mehr, und es ist schrecklich, in meinem Alter in einer solchen Lage zu sein, immer betteln und Käufer belästigen zu müssen.“ In späteren Jahren, als er nach und nach immer berühmter wurde, änderte sich auch seine finanzielle Lage. Er war dann auch zunehmend nicht nur in Fachkreisen anerkannt, er war viele Jahre mit einem der bedeutensten französischen Politiker seiner Zeit, Georges Clementceau, befreundet. Cementceau schrieb sogar eine Beiografie über ihn.
Den Impressionismus habe ich immer sehr unterschätzt. Ich hielt ihn für oberflächlich und seine Vertreter eher für Maler, die es sich gut ergehen ließ und sich mit der sonnigen Seite des Lebens beschäftigten. Ich hatte auch Zweifel, ob Bilder des Impressionismus in meine Reihe passten, die ja den Bezug zur Transzendenz von Kunst bezeugen sollen. Diese Einschätzung hat sich nun sehr geändert, nachdem ich das hervorragende Buch von Bernd Küster über Claude Monet gelesen habe. Ich werde daher einige Abschnitte aus diesem Buch zusammenstellen, auch wenn das den Rahmen dieser Bildbeschreibung vielleicht sprengt.
„Monet auf der Bank in seinem Garten ist kein zufriedener alter Mann, der mit Genugtuung auf sein Lebenswerk zurückblickt. Einen Traum seines Lebens nannte er „l’instantanéité“, die Augenblicklichkeit. Diesem Traum hat er seine Malerei verschrieben, dieser Malerei sein Leben. Sein Suchen ist konsequent und ehrgeizig geblieben. Je älter er geworden ist, umso stärker wirkt eine Besessenheit in dem seines Zieles unsicher werdenden Malers. Augenblicke der Wahrnehmung sucht er durch Malerei zu fixieren, aber die Zeit, in der der Augenblick vergeht, verwirft seinen Traum als uneinlösbar. Widersprüche, Ausweglosigkeiten und eine kaum jemals unterbrochene Kette von Enttäuschungen haben dieses lange Malerleben geleitet. Die Oberfläche der Bilder zeigt davon nur wenig. Während Monet zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter mit seiner Malerei vor der Natur kämpfte, immer neuen Herausforderungen mit Zuversicht entgegentrat, um zuletzt immer zu unterliegen – während er malerisch souverän allen Widrigkeiten und Widerständen der inneren und äußeren Natur standzuhalten suchte – verging sein im Grunde glückloses Leben.
Seine Bilder erscheinen wie Kontrapunkte zu seinen Miseren, seine Landschaften sind unbelastet und erfüllt von der Stille und Anmut einer ideal gedachten Natur. Darin steckt eine Kraft tiefer Verehrung. Monet zeigt die Natur nicht wie jemand, den bestimmte landschaftliche Schönheiten begeistern, während er an anderen achtlos vorübergeht; er ist kein Maler von Postkartenansichten, gerade mit den sogenannten „malerischen“ Motiven hat er seine Schwierigkeiten. Er ist ein Maler der Natur in ihrem weitesten und tiefsten Sinn.
Diese Natur schafft Monet noch einmal neu aus Farbe, setzt Licht an die Stelle der Materie, Reinheit an die Stelle des Trüben, erkennt Wesentliches in dem, was flüchtig und zufällig erscheint. Er zeigt die Phänomene als Erscheinungsweisen farbigen Lichts, malt das Sehen. Seine Leinwand ist seine äußerlich gewordene Netzhaut. Licht aber ist ihm nicht bloße Wirkung der Oberfläche dieser Welt, sondern zuallererst die Essenz des Malerischen selbst.
Auf den Spuren des Lichts sucht Monet das reine Bild der Erscheinung, Aussagen über das Wesen der Dinge. Die Gesetze seiner Natur sind Farbgesetze.
Die Sonne ist Gott, hat Turner einmal gesagt. Monets Landschaften sind Orte, an denen dieser Gott zu Hause ist.“ (S. 7)
Monets Schlüsselerlebnis für die Ausrichtung seiner Malerei und das ihn auch dazu bewog, Maler zu werden, war die Begegnung mit dem Maler Boudin:
„Eines Tages betritt der Maler Eugene Boudin, ehemals Gründer des Geschäfts, die Papierhandlung Gravier und sieht die spöttischen Karikaturen Monets neben eigenen Landschaftsbildern hängen. Monet schätzt die Arbeiten dieses Malers damals keineswegs, er hält die Meeresbilder und Küstenansichten für wertlose Schinken und bleibt auch hochnäsig, als Boudin ihm artige Komplimente über seine Zeichnungen zu machen versucht: ‚Sie sind begabt, lassen Sie diese Arbeit, von der Sie bald genug haben werden. Ihre Skizzen sind ausgezeichnet, Sie werden da nicht stehenbleiben. Machen Sie es wie ich, lernen Sie gut zeichnen und bewundern Sie das Meer, das Licht, den blauen Himmel.‘
Monet: ‚Ich hasste den Mann, ohne ihn zu kennen.‘
Den Rat des Älteren, konsequent Naturstudien zu betreiben, nimmt Monet, der darin Verleugnung akademischer Prinzipien sieht, anfangs nicht ernst, doch bleibt die Begegnung nicht ohne Folgen. Monet muss sein vorschnelles Urteil revidieren und entdeckt Sympathien für den bescheidenen Boudin. Während des folgenden Sommers unternehmen sie zusammen lange Spaziergänge am Meer und treffen sich in Rouelles, nordöstlich von Le Havre, zu gemeinsamem Malen.
Ich hatte begriffen, hatte erkannt, was Malerei sein konnte, ganz einfach durch das Beispiel dieses Malers, der sich mit solcher Eigenständigkeit der Kunst widmete, die er liebte. Meine Bestimmung als Maler war festgelegt.‘ (Monet)
Ich schulde Boudin alles und bin ihm dankbar für meinen Erfolg. Ich war schließlich fasziniert von seinen farbigen Skizzen, Kindern dessen, was ich „Augenblicklichkeit“ nenne.‘ (Monet 1920)
Eines Tages arbeiten sie gemeinsam unter einem Sonnenzelt in der Nähe von Sainte-Adresse, als ein vornehm gekleideter Herr sich den Malern nähert, ihnen zu ihrer Kühnheit gratuliert und erklärt, dass eine solche farbige Auffassung der Natur unter freiem Himmel eine fundamentale Erneuerung der malenden Künste bedeute. Er reicht den erstaunten Malern die Hand und sagt: „Ich bin Théphile Gautier, der Dichter, der beinahe Maler geworden wäre.“ Dazu Monet: ‚Sie können sich vorstellen, wie verblüfft wir bei dem Gedanken waren, uns mit einem so großen Dichter unterhalten zu haben.‘ (An Geffroy, 8. Mai 1920)
„Alles, was unmittelbar, an Ort und Stelle gemalt wird, besitzt eine Kraft, (S. 9)
eine Energie, eine Lebendigkeit des Strichs, die man im Atelier nicht mehr erreicht.‘ (Boudin)
Solche Losungen prägen Monet, sie sind wie Grundsätze seines Aufbruchs zu einem Leben für die Malerei, von der er im Übrigen immer jede Art von Theorie oder von weltanschaulichem Rückhalt fernzuhalten versucht hat.
Der junge Monet ist selbstsicher, rebellisch und ehrgeizig. Die Erfolge seiner Karikaturen und die Bestärkung durch Boudin ermuntern ihn, seinen Wunsch, Maler zu werden, dem Vater vorzutragen. Die Legende hält dazu folgenden Dialog bereit:
Vater: ‚Du wirst niemals auch nur einen Sou von mir bekommen.‘ Sohn: ‚Ich verzichte darauf‘“ (S. 10)
Einen weiteren zukunftsweisenden Eindruck machten Bilder des Malers Delacroix auf Monet:
„……… die Arbeiten Eugéne Delacroix‘, der erstmals die Farbe der Malerei von einer strengen, linearen Zeichnung befreit hat. Malerei, sagt Delacroix, reflektiere nicht Gegenstände, sondern Licht, die Farbe des Malers habe von der Lichtwirkung auszugehen. Seine Revolution des malerischen Farbsehens wird Monet tief verinnerlichen und wohl am konsequentesten weitertragen.“ (S. 11)
Seine finanzielle Situation und Aussichtslosigkeit lässt ihn 1869 – er war 29 Jahre – fast seinen Laufbahn aufgeben.
Noch einige Abschnitte zum tieferen Verständnis der Kunst Monets aus: Küster, Bernd: Claude Monet, Ein Maler-Leben:
1883 bezieht Monet sein neues Anwesen nahe dem Dörfchen Giverny bei Paris.
“Giverny bezeichnet das Ende von Monets äußerem Unglück, hier beginnt die zweite Hälfte seines Lebens, mit dem Anschein einer zunehmenden Stabilität und getragen von einer souverän gewordenen Malerei.
Monets Werk nimmt eine Entwicklung zu Konzentration und Ruhe, nicht aber zu Spannungslosigkeit oder Gleichmaß. Er selbst lehnt einen Entwicklungsbegriff dafür ab, ihm ist Malen unablässige Steigerung des bestehenden, nicht Suche nach neuen Formen des Ausdrucks.
Im Bewusstsein, malend nicht über die Oberfläche der Erscheinungen hinauszukommen, nimmt er diese dennoch bald so wahr, als sehe er bis auf den Grund der Dinge. Sein Sehen verändert kaum noch die Richtung, wohl aber gewinnt es an Intensität. Genauigkeit im Detail wird immer weniger zur malerischen Absicht, es steigt seine Lust an ganz unspektakulären visuellen Eindrücken, die er farbig immer unabhängiger und freier zu gestalten sucht. Monet geht konsequent den Weg zur autonomen Farbe; selbst der malverwandte Renoir, zeitweise von der farbigen Auflösung der Phänomene fasziniert, kehrt später zu einer Verhärtung der Formen zurück. Monet bleibt konsequent, die Substanz der Erscheinungen immer stärker farbig zu durchdringen, ohne allerdings jemals den im Motiv erscheinenden Gegenstand aus den Augen zu verlieren. Er abstrahiert nur zugunsten der Farbe und nur soweit, bis sein Thema gemäß seiner Wahrnehmung auf der Leinwand als sinnliche Ganzheit neu entsteht.“ (S. 70)
„Monets kompromissloser Ehrgeiz, der Natur in allen Regungen und Wechseln standzuhalten, führt ihn in den Zustand anhaltender Enttäuschung. Er nimmt nur noch malerisch wahr, übersetzt jeden visuellen Eindruck in eine ästhetische Vorstellung, die, tatsächlich gemalt, ganz anders aussehen muss. Zeitlebens versucht er, ohne jede Idee beim Malen auszukommen, aber je älter er wird, umso mehr scheint seine Arbeit dem Plan einer bestimmten, wenn auch noch unklaren Idee zu folgen. Und je unnachgiebiger er sich auf die Flüchtigkeit der Wahrnehmungen bezieht, umso deutlicher erscheint sein Bemühen, eine substantielle Einheit der Natur in allen Motiven aufzuspüren. Sein später Inspressionismus gewinnt eine metaphysische Dimension.“ (S. 73)
„Die unerschöpflichen Teilaspekte eines Motivs sind im Idealfall nur durch eine unendliche Zahl von Einzelbildern zu erreichen, einer filmischen Sequenz ähnlich, doch um vieles präziser. Sie ergänzen ihre Teilmomente erst im Zusammenhang zu einem Höheren, in den Augen Monets zu einem reinen Abbild der Wahrheit, die in der Natur selbst begründet liegt.“ (S.79)
„Jene zweifelhaften Landschaftsmaler, die den Strand von Antibes mit ihm teilen und tagtäglich ohne jede Anstrengung ihre 4-Sous-Bilder herunterpinseln, straft Monet mit Missachtung und verflucht ihre Gesellschaft. Für Monet ist Malen niemals bequemer Zeitvertreib, sondern immer Lebensaufgabe, kämpfendes Suchen ohne festes Ziel, Ringen um etwas, das für ihn wohl letztlich nicht zu erringen ist. Aber er fordert von sich den bedingungslosen Einsatz, ohne irgendeine Gewissheit zu haben, wohin das führt.“ (S. 84)
„Monet Spätwerk zieht sich aus der großräumigen Erfahrung der Landschaft immer konzentrischer um das Anwesen von Giverny zusammen.“ (S.92)
In seinem Anwesen legte er Gärten mit großen Teichen an. Dort entstehen seine Seerosenbilder.
„Für Monet verkörpert das Wasser eine Metapher der Zeit. Die ruhende Unendlichkeit des Meeres ist sein Bild der Ewigkeit, das langsam dahinziehende Wasser der Seine verkörpert den unaufhaltsamen Strom des vergehenden Lebens. Als Monet den Nebenfluss der Epte im Teich seines Gartens staut, sieht er auf das stillgestellte Wasser wie auf einen Spiegel der Zeitlosigkeit, erlebt darin fast mystisch den Vorschein des Unendlichen.“ (S. 109)
Diejenigen, die über meine Malerei Abhandlungen schreiben, kommen zu dem Schluss, dass ich zum letzten Grad der Abstraktion und Imagination gelangt bin, der mit dem Realen verbunden ist. Es gefiele mir mehr, wenn sie erkennen wollten, dass ich mich selbst gegeben, mich völlig hingegeben habe.
Monet, um 1910
Nachtrag: Bedeutung des Impressionismus für die Entwicklung der modernen Kunst
(Überschrift von H.L.)
Die Wirklichkeitsvorstellung der Realisten setzt voraus, dass die vom reinen Sehen zusammengetragenen Wahrnehmungsreize von der Oberfläche stofflicher Körper stammen. Das ist aber eine in das reine Sehen immer schon hineingetragene, zum rein optischen Bestand hinzugewusste Vorstellung. Dem reinsten Sehen sind nur ständig wechselnde, von augenblicklichen Lichtverhältnissen und subjektiven Zuständen bedingte Sinnesempfindungen wirklich gegeben; nicht feste Gegenstände, die unabhängig vom sehenden und malenden Menschen bestehen, sondern eine schwebende Beziehung zwischen dem Reiz von außen und der Reaktion der Sinne:
Erscheinungen, Impressionen. Im praktischen Leben nehmen wir fast alle Farbeindrücke gar nicht als solche, sondern immer schon als Eigenschaften materieller Dinge wahr. Dieses vorstellige, begriffliche Element der Erfahrung will der Impressionist von dem rein optischen trennen. Damit entfernt sich die künstlerische Wirklichkeitsvorstellung um einen entscheidenden Schritt von der außerkünstlerischen. Mit diesem Schritt aber, der die Farbe von der Bindung an die körperlichen Dinge freimacht (die ausschaltet), scheint die Malerei eine ganz neue Welt zu entdecken, in der die bisher stoffgebundenen Farben ungehemmt ihre strahlenden Kräfte versprühen. Die Farben werden zerlegt in ein Gewimmel kleinster Teile immer reinerer, den Spektralfarben angenäherter, sich gegenseitig steigernder Werte. Das Bild wird zum Gewebe, zu einem schwebenden, flächenfarbigen Lichtschleier. Es ist primär nicht aus Gegenstandsmerkmalen, sondern aus gemacht. Es ist eine bewegliche, flüchtige Schönheit, im Fluge erfasst, wie eine aufblitzende Welle im Fluss der Erscheinungen, ihr farbiger Abglanz, die Übersetzung einer erlebten Weltsekunde in freies Farbgewebe. Der zufällige Naturausschnitt, das Lebensfragment wird zur künstlerischen Einheit vor allem durch die subtilen Beziehungen zwischen den Farbmolekülen an sich.
Die Autonomie der Mittel war das Ergebnis einer Konzentration der Malerei auf die reine Sichtbarkeit der Außenwelt. Die dabei bis zu ihren Elementarteilchen analysierte Farbe aber war nun frei für ganz neue Synthesen, die von der reinen Sichtbarkeit der Erscheinungswelt wegführen. Die Anfänge moderner Bewegungen entspringen an dem Punkt, wo die zum Impressionismus führende Entwicklung des 19. Jahrhunderts gegenläufig zu werden beginnt, wie eine Wellenbewegung, die in die Gegenrichtung umbricht.
Hess, Walter: Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei, Hamburg 1998, S.14f