Ernst Ludwig Kirchner 1880 – 1938
Das Bild Alpleben II ist das mittlere Bild eines Triptychons:
Das Bild zeigt bäuerliches Leben vor der Kulisse eines gigantischen dunkelblauen Gebirges. Vor diesem eher bedrohlich wirkenden Gebirge im Kontrast sind die sanften Farben des auf zwei grünen Hügeln verstreut stehenden Blockhütten mit rosa schimmernden Dächern und die in hellbraun und orange gefärbten Kühe. Auf einem kleinen Platz im Vordergrund steht ein ebenfalls hellbrauner Brunnen mit fließendem Wasser. Der kleine Platz ist rosa und von ihm geht ein gleichfarbiger Weg zwischen den Hügeln hindurch und verschwindet dort. Eine Frau im blauen Gewand mit einem Eimer an der Hand steht an der rechten Seite des Brunnens, ein in Schwarz bis Dunkelgrün gekleideter großer Mann mit hohem schwarzen Hut steht an der linken Seite des Brunnens und scheint auf die Scene zu schauen, ein zweiter Mann in gleich gefärbtem Gewand mit einer Kappe bewegt sich wohl auf die drei in dem rechten unteren Quadranten des Bildes in einer Reihe friedlich weidenden Kühe zu. Aus der Mitte vom hinteren Rand des linken grünen Hügels schaut eine braune Kuh erstaunt ins Bild hinein. Vielleicht ein etwas humorvoller Akzent. Den stärksten Kontrast zu dem hart wirkenden Gebirge bildet aber ein ungewöhnlich gefärbter Himmel. Wie in Wellen ziehen vier rosa gefärbte Wolkenstreifen mit hellroten Rand fast vertikal über den Himmel und überziehen die ganze Szene mit einem sanften rosa Schimmer. Auch die flauschig weichen Formen der Wolkenstreifen, bilden einen starken Kontrast zu den harten Formen des Gebirges. Im Schein dieses Himmels wirkt das Gebirge für die dörfliche Idylle auch nicht mehr bedrohlich, eher wie ein unerschütterlicher Schutzwall.
Zur Lebenssituation Ernst Ludwig Kirchners, in der dieses Bild entstanden ist, ein Abschnitt aus : Villa Griesbach Auktionen Nr. 125, Berlin 2005, S. 36:
„Als Ernst Ludwig Kirchner, von Krieg und Krankheit geschwächt, 1917 im schweizerischen Davos eintraf, begegnete er einer für ihn ungewohnten Welt. Fern von der großstädtischen Hektik und dem Chaos der Kriegsjahre wollte er in den Bergen die notwendige Ruhe finden. Doch Kirchner kam nicht nur, um sich zu erholen und einer erneuten Einberufung zu entgehen, er floh auch vor dem drohenden Bürgerleben, dem „allmählichen Absterben ohne Tod“ – so schrieb er 1916 an Gustav Schiefler. Das Hochgebirge war für ihn der Ort, an dem er ein unbürgerliches Leben außerhalb der Gesellschaft führen und als Künstler weiterarbeiten konnte. In Davos-Frauenkirch mietete Kirchner zunächst das Bauernhaus „In den Lärchen“, ab 1923 ein anderes „Auf dem Wildboden“. Die Sommermonate verbrachte er in einer Berghütte auf der Stafelalp. Kirchner war vom Leben der Menschen im Einklang mit der Natur überaus beeindruckt. Er zeichnete und malte Szenen des ländlichen Alltags, weidende Kühe und Almauftriebe, Bauern, die sich im Gras ausruhen, Familien, die gemeinschaftlich zu Tisch sitzen, Tanzabende. Der Hauptakzent seines Schaffens lag jedoch auf dem Landschaftsbild. Im Gegensatz zu anderen „Alpenmalern“ der frühen Moderne ….. war dem Expressionisten die imposante Bergwelt nicht vertraut, so verlieh gerade das Neue und Unbekannte seinen Darstellungen eine besondere Intensität und Dramatik. Seine Faszination für die Landschaft war sicherlich der wichtigste Grund für Kirchners Entscheidung, endgültig nach Davos überzusiedeln.“
Villa Griesbach Auktionen Nr. 125, Berlin 2005, S. 36
So (entstanden) bildlich gestaltete Erlebnisse der Natur. Wie sich die Bauern, mit denen Kirchner lebte, der Urkraft der Natur anvertrauten, so vorbehaltlos gab sich der Künstler dieser Empfindung hin. Überraschend erfüllte sich ihm hier die Sehnsucht der Jugend.
Wolf-Dieter Dube in: Ausst. Kat. Ernst Ludwig Kirchner, Nationalgalerie Berlin 1980
Ernst Ludwig Kirchner über seine Arbeit
«Es ist etwas Geheimes, was hinter den Menschen und Dingen und hinter den Farben und Rahmen liegt, und das verbindet alles wieder mit dem Leben und der sinnfälligen Erscheinung, das ist das Schöne, das ich suche.» http://www.kirchnermuseum.ch
Kirchners Leben
E. L. Kirchner wurde 1880 in Aschaffenburg geboren. Nach dem Architekturstudium in Dresden gründete er am 5. Juni 1905 mit seinen Freunden Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff die Künstlergemeinschaft «Brücke». 1911 zog er nach Berlin. In den folgenden Jahren erreichte er mit seinen expressiven Werken einen Höhepunkt seines Schaffens. 1913 zerbrach die Freundschaft der «Brücke»-Künstler. Die Auseinandersetzung mit den Problemen der Großstadt und die Erlebnisse im Militärdienst setzten Kirchner körperlich und seelisch derart zu, dass er nach verschiedenen Klinikaufenthalten schließlich 1917 in Davos Heilung suchte. Auf der Stafelalp, dann „In den Lärchen“ und schließlich auf dem „Wildboden“ schuf er ein umfangreiches Spätwerk. Im nationalsozialistischen Deutschland wurden seine Bilder aus den Museen verbannt und in der Ausstellungsreihe «Entartete Kunst» verunglimpft. Die Diffamierung seiner Person und seines Werkes, die Nazifizierung Deutschlands und persönliche Probleme stürzten ihn in eine tiefe Krise. 1938 schien ihm der Freitod der einzige Ausweg zu sein. Sein Grab, wie auch dasjenige seiner Lebensgefährtin Erna, befindet sich auf dem Davoser Waldfriedhof. http://www.kirchnermuseum.ch