Paul Ernst Klee 1879 – 1940
Das Kunstwerk „Landschaft der Vergangenheit“ des deutschen Malers Paul Klee gehört in seine sogenannte mystisch-abstrakte Periode (1914 – 1919) (Internet)
Warum ich die Bild von Klee in weißen Quadratrahmen gesetzt habe, s. am Ende der Ausführungen)
Klee (1879-1940) hatte die letzten beiden Kriegsjahre in der Königlich Bayerischen Fliegerschule V in Gersthofen bei Augsburg abgeleistet. Ein Fronteinsatz blieb ihm so erspart. Klee war in der Finanzverwaltung des Flugplatzes tätig und widmete sich die ganze Zeit der Kunst. So zeichnete er an seinem Arbeitsplatz heimlich in einer Schublade oder malte farbintensive Aquarelle in den nahen Lechauen.
«Die Zeit ist nicht leicht, aber voller Aufschlüsse. Ob meine Kunst bei gelassenem Weiterleben auch so schnell emporgeschossen wäre wie anno 16/17 ?», schreibt Klee noch während seiner Militärzeit an seine Frau Lily. Er hatte seine Ideen während des Kriegsdienstes mit einer Vielzahl von neuen Elementen und Formen verarbeitet. Seine Themen waren Krieg, Fliegen, Landschaften und Religion.
Ich vermute, dass Klee während seines Kriegsdiensts in Gersthofen bei Augsburg zu „Landschaft der Vergangenheit“ von abendlichen Eindrücken in der Lechau angeregt wurde.
Klee lässt sich nur schwer in eine Kunstrichtung einordnen. Überhaupt erscheint es mir sehr schwieg, einen theoretischen Zugang zu bekommen, schon gar nicht einen einfachen und einheitlichen. Bei diesem Bild kommt vielleicht seine Vorliebe für Kinderbilder und Märchenlandschaften durch.
Nachdem ich mich länger mit ihm und seiner Theorie beschäftigt habe, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass er sich nicht an der äußeren Natur orientierte, er ließ sich eher von der Natur anregen und das Bild sich entwickeln, von innen heraus. Er arbeitete nicht parallel zur Natur, sondern wie die Natur, aber mit der Freiheit, die ihm als Mensch zugestaden ist. Daher sind auch seine oft skurril wirkenden Bilder mit Titeln wie „Zwitschermaschine“ begründbar und erlaubt. Er „webte“ gewissermaßen seine Bilder. Vom Ursprung der Natur her, „aus dem Schoß der Natur, im Urgrund der Schöpfung“ (s.u.: Paul Klee in Selbstaussagen). Im Hintergrund war allerdings eine durchaus strenge Ausrichtung, die auf seinen umfassenden Kenntnissen beruhte. (s.u. Wie er seine Schüler lehrte.)
Wie weit ich Klee richtig verstanden habe, weiß ich nicht. Jeder – vielleicht auch orientiert an den folgenden Texten und eigenen Interpretationen – sollte sich jeder selbst bemühen und ich glaube, es lohnt sich.
Ich möchte daher auch keine Bildbeschreibung mit Interpretation versuchen, sondern den Betrachter anregen, meditativ/kontemplativ an das Bild heran zu gehen. Dabei sollte er möglichst seinen Verstand zur Ruhe bringen, wie es auch Klee beim Malen versuchte.
Dazu schlage ich vor, das Bild konzentriert, aber mit einem „Weichen Blick“ anzuschauen, d. h. konzentriert, aber nicht fokussiert, das Bild als Ganzes auf sich wirken lassen und aufnehmen. Das Bewusstsein oder Gewahrsein kann dabei vom Kopf durch den Hals in den rechten Brustbereich gelenkt werden, zum spirituellen Zentrum des Menschen.
Das Bild ist wie eine geheimnisvolle andere Welt. Man muss sich Zeit dazu nehmen.
Zur Biographie von Paul Klee
geb. 1879 in Münchenbuchsee bei Bern, gest. 1940 in Muralto bei Locarno
Einige wahllos herausgegriffene Titel von Werken Paul Klees: „Der große Kaiser reitet in den Krieg“, „Zwitschermaschine“, „Bauchredner (Rufer im Moor)“, „Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber“, „Götzenbild für Hauskatzen“, „Revolution des Viadukts“, „Dieser Stern lehrt Beugen“, „Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen einander“, „Segelnde Stadt“ usw. usw. … Bilder aus dem Bereich des absurden Theaters? Poetischer Ulk eines Phantasten? Oder einfach nur Produkte einer heiteren Laune? So viele zutreffende oder nichtzutreffende Definitionen sich auch für sein Schaffen finden lassen, das Phänomen Paul Klee bleibt damit letztlich doch ungeklärt, denn seine Werke entziehen sich jeder logischen Deutung, sie wollen erlebt sein mit allen Sinnen und mit der ganzen Kraft der Phantasie.
„Die Kunst“, so schrieb er einmal, „geht über den Gegenstand hinaus, über den realen wie den imaginären. Sie spielt mit den Dingen ein unwissendes Spiel. So wie ein Kind im Spiel uns nachahmt, ahmen wir im Spiel die Kräfte nach, welche die Welt erschufen und erschaffen“.
Diese Lust am Erschaffen von Formen und Zeichen, für die es weder in der Natur noch in den von Menschenhand gestalteten Werken Vorbilder gibt, war für Klee die Urquelle seiner künstlerischen Tätigkeit. Alles Nachempfinden und Nachschöpfen von bereits Vorhandenem lehnte er für sich ab; er selber wollte Schöpfer sein seiner eigenen Welt, in der Gesetze walten, denen nur der gehorchen kann, der sie aufgestellt hat, nämlich der Künstler selbst. Von allen Kunsttheorien, die jemals aufgestellt worden sind, gehen seine am weitesten, was die Freiheit des künstlerischen Schaffens anbetrifft; sie fordern aber gleichzeitig auch ein Höchstmaß an Disziplin und Verantwortungsbewusstsein, ohne die ein solches Kunstwerk, da es „unvergleichbar“ ist, zwangsläufig zum chaotischen Machwerk herabsinkt.
Klees „Pädagogisches Skizzenbuch“ und seine „Schöpferischen Konfessionen“ können uns darüber Aufschluss geben, wie systematisch und bewusst er gearbeitet hat.
Der Gefahr, sich in uferlose Weitschweifigkeit zu verlieren, ist er durch strenge Selbstkontrolle und Selbstkritik entgangen. Gerade die ganz einfachen und fast spielerisch anmutenden Kompositionen sind das Resultat intensiver Studien und langer Bemühungen um eine knappe, formelhafte Aussage. In Klees Nachlass finden sich Hunderte von Blättern, auf denen er sich mit den schwierigsten Problemen der Geometrie und sphärischen Trigonometrie auseinandergesetzt hat, um sich für seine künstlerischen Proportions- und Ordnungsgesetze eine sichere Grundlage zu verschaffen. Und so in diesem Wechselspiel von reinen Meditationen und genauer Kenntnis der bildgesetzlichen Möglichkeiten entstanden seine Bilder, am ehesten musikalischen Kompositionen vergleichbar, für die der Künstler aus der eigenen Intuition schöpft, gleichzeitig aber auch mit den Regeln der Harmonie, Rhythmik und Instrumentierung hinlänglich vertraut sein muss.
Es ist bezeichnend, dass Klee zugleich Musiker, ein hervorragender Geiger, war und eine Zeitlang zögerte, ob er nicht wie sein Vater, ein aus Franken nach Bern eingewanderter Musikprofessor, ebenfalls Musiker werden sollte. Er entschied sich schließlich doch für die Malerei. Er studierte zunächst in München an der Akademie, die er jedoch bald verließ, weil ihm der konservative Betrieb dort nicht zusagte.
23 Jahre war Klee damals alt, er verfügte bereits über ein erstaunliches Maß an Selbstkritik und Skepsis gegenüber allem Bewährten und Perfekten. Für ihn galt nur die eigene Erfahrung. Darum zog er sich auch in die Schweiz zurück, um völlig unbeeinflusst von fremden Vorbildern zu zeichnen. 1906 heiratete er die Pianistin Lily Stumpf, mit der er nach München übersiedelte. Als er 1911 der Gruppe „Blauer Reiter“ beitrat, hatte er sich bereits von allem Herkömmlichen gelöst; vor allem seine Zeichnungen und Radierungen zeigen einen skurrilen Humor und eine unverhohlene Freude am Absurden. Zur Farbe hatte er damals noch kein Verhältnis; erst angeregt durch die innige freundschaftliche Verbindung mit Kandinsky und August Macke, den Hauptmeistern des „Blauen Reiter“, deren starkfarbige Bilder ihn begeisterten, unternahm er vorsichtige Versuche mit Wasserfarben. 1912 reiste er nach Paris, wo er Picasso und den Fauvisten Robert Delaunay persönlich kennenlernte, wo er aber auch erstmals die Werke van Goghs und Cézanne’s sah. Die eigentliche Wende vom Zeichner zum Maler brachte dann eine mit August Macke unternommene Reise nach Tunesien. Die farbige Welt des Orients, das Licht und die seltsamen Formen der Vegetation, die fremdartigen Laute und Gerüche – das alles wurde von seinen Sinnen begierig aufgenommen und beflügelte seine Phantasie. „Zunächst ein großer Taumel, der nachts kulminiert“, schrieb er in sein Tagebuch, „nichts Einzelnes, nur das Ganze. Und was für ein Ganzes!! Tausendundeine Nacht als Extrakt mit neunundneunzig Prozent Wirklichkeitsgehalt. Welch ein Aroma, wie durchdringend, wie berauschend und klärend zugleich!“ Und später: „Es dringt tief in mich hinein, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiß. Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“
Zurück in München begann er eine Serie von Aquarellen in einer Farbigkeit, die den strengen Zeichner Klee vergessen lassen. Die Linie, mit der er bisher ausschließlich gearbeitet hatte, vernachlässigte er fast völlig zugunsten der Farbfläche. Der Kubismus, den er in Paris studiert hatte, gab ihm dabei wichtige Hinweise zur Raumgliederung, die abstrakten Kompositionen Kandinskys ermutigten ihn zur Aufgabe des Gegenständlichen; aber dies alles wurde für ihn nur am Rande wirksam, seine eigenen Vorstellungen waren so stark, dass sie fremde Einflüsse restlos absorbierten. Seine ersten abstrakten Bilder (Farbige Kreise durch Farbbänder verbunden, 1914) zeigen keinerlei Befangenheit in formalen Doktrinen, sondern vielmehr eine ganz originelle Erfindungsgabe und eine überschäumende Phantasie.
Der Krieg bedeutete das Ende dieser so überaus fruchtbaren Schaffensperiode. Die wenigen Bilder, die er in dieser Zeit malte, sind düster und erschreckend.
Nach dem Krieg fand Klee nur langsam seine Unbefangenheit wieder; erst 1920 veranstaltete er eine Ausstellung in München, die ein großer Erfolg für ihn wurde. Sie brachte ihm dann auch die Berufung an das „Bauhaus“ in Weimar ein, der er gerne Folge leistete. Hier traf er Kandinsky, Feininger und Jawlensky wieder, mit denen er sich seinerzeit in München eng befreundet hatte. Klee unterrichtete in Kompositionstheorie, in Teppichweberei und Glasmalerei. Seine bildnerischen Erfahrungen konnte er hier in den Dienst der praktischen Kunsterziehung stellen, von deren konstruktiver Gründlichkeit wir uns an Hand seines 1925 erschienenen „Pädagogischen Skizzenbuches“ ein sehr genaues Bild machen können. Die Jahre am Bauhaus in Weimar und später in Dessau gehören zu seinen produktivsten und unbeschwertesten.
1931 nahm Paul Klee eine Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie an, denn die Schatten des Nationalsozialismus hatten bereits auf das Bauhaus übergegriffen und die einst so harmonische Atmosphäre des Instituts vergiftet. 1933 verlor er durch das NS-Regime auch den Düsseldorfer Lehrstuhl und kehrte zurück in die Schweiz. Das letzte Jahrzehnt seines Lebens war überschattet von einem schweren, unheilbaren Leiden und den bedrückenden politischen Verhältnissen, die ihn aus Deutschland vertrieben hatten und die bereits alle Zeichen einer kommenden Katastrophe in sich trugen. In Klees letzten Bildern überwiegt daher der tragische Unterton.
Die grellen, hart nebeneinander gesetzten Farbflächen, die eckigen Chiffren und die dramatisch vereinfachten Linien künden das Chaos an, das er vorausgeahnt hat, das zu erleben ihm aber erspart blieb. (Diese Bilder können auch von seiner schweren Krankheit bestimmt gewesen sein, s.u., H.L.)
Lindemann, Gottfried: Kunst Künstler Kunstwerke, Essen 1966, S. 112-114
Klee und seine Krankheit
1935 erkrankte Paul Klee schwer an einer rätselhaften Krankheit. Hautveränderungen und Erkrankungen der inneren Organe traten auf. Erst 14 Jahre nach seinem Tod erschien in der Fachliteratur erstmals die Krankheitsbezeichnung «Sclerodermie». Diese Diagnose blieb aber hypothetisch, da sie sich auf keine ärztlichen Aufzeichnungen stützen konnte.
Paul Klee gelang es, das schwere Leiden kreativ zu verarbeiten. Auf höchst beeindruckende Weise schuf er in den fünf Krankheitsjahren ein umfangreiches Spätwerk, das sich stark von seinem früheren Schaffen unterscheidet und in dem sich Schicksal und Leiden widerspiegeln. Mit Stift und Feder hielt er in vielen umrissartigen Zeichnungen seine Verfassung, seine Not, Angst, aber auch seine Zuversicht und Hoffnung tagebuchartig fest. Es ist beeindruckend, dass der Maler in seiner Leidenszeit auch immer wieder humorvolle Nuancen in seine farbintensiven Bilder einspielte.
Selbstzeugnisse und wie er seine Schüler lehrte
Paul Klee in Selbstaussagen
Urgrund der Schöpfung
Ich möchte nun die Dimension des Gegenständlichen in einem neuen Sinne für sich betrachten… Der Künstler misst der natürlichen Erscheinungsform nicht die zwingende Bedeutung bei wie viele der Kritik übenden Realisten. Er fühlt sich an diese Realität nicht so sehr gebunden, weil er an diesen Formenden [der Natur] nicht so sehr das Wesen des Schöpfungsprozesses sieht. Denn ihm liegt mehr an den formenden Kräften als an den Formenden… Je tiefer er schaut, desto mehr prägt sich ihm an der Stelle eines fertigen Naturbildes das allein wesentliche Bild der Schöpfung als Genesis ein… Er sagt sich: es sah diese Welt anders aus und es wird diese Welt anders aussehen. Auf anderen Sternen kann es wieder zu ganz anderen Formen gekommen sein. Solche Beweglichkeit auf den natürlichen Schöpfungswegen ist eine gute Formungsschule … Und ist es nicht wahr, dass schon der relativ kleine Schritt des Blickes durch das Mikroskop Bilder vor Augen führt, die wir alle für phantastisch und verstiegen erklären würden, wenn wir sie so ganz zufällig irgendwo sehen würden? Also befasst sich denn der Künstler mit Mikroskopie? Historie? Paläontologie ?
Nur vergleichsweise, nur im Sinne der Beweglichkeit, nur im Sinne einer Freiheit, die nicht zu bestimmten Entwicklungsphasen führt, welche in der Natur einmal genauso waren oder sein werden, oder die auf anderen Sternen so sein könnten, sondern im Sinne einer Freiheit, die lediglich ihr Recht fordert, ebenso beweglich zu sein, wie die große Natur beweglich ist… Da wo das Zentralorgan aller zeitlich-räumlichen Bewegtheit, heiße es nun Hirn oder Herz der Schöpfung, alle Funktionen veranlasst, wer möchte da als Künstler nicht wohnen? Im Schoß der Natur, im Urgrund der Schöpfung, wo der geheime Schlüssel zu allem verwahrt liegt? … Unser pochendes Herz treibt uns hinab, tief hinunter zum Urgrund. Was dann aus diesem Treiben erwächst, ist ganz ernst zu nehmen, wenn es sich mit den passenden bildnerischen Mitteln restlos zur Gestaltung verbindet. Dann werden jene Kuriosa zu Realitäten, zu Realitäten der Kunst, welche das Leben etwas weiter machen, als es durchschnittlich scheint. Weil sie nicht nur Gesehenes mehr oder weniger temperamentvoll wiedergeben, sondern geheim Erschautes sichtbar machen. (4)
Wege des Naturstudiums
Gegenüber dem organischen Reichtum der Natur sieht der Schüler zunächst die letzten Verzweigungen und gelangt noch nicht hinunter zum Gerüst oder zum Stamm. Ihm ist es noch nicht wie dem Wissenden klar, dass im äußersten Blättchen Analogien zur totalen Gesetzgebung sich mit Präzision wiederholen. – Lassen Sie die Schüler erleben, wie sich eine Knospe bildet, wie ein Baum wächst, wie sich ein Falter auftut, damit sie ebenso reich werden, ebenso beweglich, ebenso eigensinnig wie die große Natur. Gehen Sie den natürlichen Schöpfungswegen nach. Vielleicht werden Sie eines Tages selber Natur sein, bilden wie die Natur. – Das Naturstudium von gestern… suchte Bilder der von der Luft gefilterten Oberfläche eines Gegenstandes, Kunst des optischen Sehens … Der Künstler ist aber Geschöpf auf einem Stern unter Sternen. Dies kommt schrittweise zum Ausdruck, indem in der Auffassung des Gegenstandes eine Totalisierung eintritt… Der Gegenstand erweitert sich über seine Erscheinung hinaus durch unser Wissen, dass das Ding mehr ist als seine Außenseite zu erkennen gibt. — Die so gemachten Erfahrungen befähigen das Ich zu Schlüssen auf das Innere und zwar instinktiv… Darüber hinaus gehen die zu einer Verschmelzung des Gegenstandes führenden Wege, die das Ich zum Gegenstand in ein über die optischen Grundlagen hinausgehendes Resonanzverhältnis bringen. 1. Der nicht-optische Weg gemeinsamer irdischer Verwurzelung, der im Ich von unten ins Ganze steigt, 2. der nicht-optische Weg kosmischer Gemeinsamkeit, der von oben einfällt. (3)
Das Gleichnis vom Baum
Die Orientierung in den Dingen der Natur und des Lebens, diese vielverästelte und verzweigte Ordnung möchte ich dem Wurzelwerk des Baumes vergleichen. Von daher strömen dem Künstler die Säfte zu, um durch ihn und durch sein Auge hindurchzugehen. So steht er an der Stelle des Stammes. Bedrängt und bewegt von der Macht jenes Strömens, leitet er Erschautes ins Werk. Wie die Baumkrone sich zeitlich und räumlich nach allen Seiten hin sichtbar entfaltet, so geht es auch mit dem Werk. Es wird niemand einfallen, vom Baum zu verlangen, dass er die Krone genauso bilde wie die Wurzel. Jeder wird verstehen, dass kein exaktes Spiegelverhältnis zwischen unten und oben sein kann. Es ist klar, dass die verschiedenen Funktionen in verschiedenen Elementarbereichen lebhafte Abweichungen zeitigen müssen. – Der Künstler tut an der ihm zugewiesenen Stelle beim Stamm gar nichts anderes, als aus der Tiefe Kommendes zu sammeln und weiterzuleiten. Weder dienen noch herrschen, nur vermitteln. Er nimmt also eine wahrhaft bescheidene Position ein. Und die Schönheit der Krone ist nicht er selber, sie ist nur durch ihn hindurchgegangen. (4)
Kunst verhält sich zur Schöpfung gleichnisartig, sie ist ein Beispiel, ähnlich wie das Irdische ein kosmisches Beispiel ist. Die Freimachung der Elemente [bildnerischen Mittel], ihre Gruppierung zu zusammengesetzten Unterabteilungen, die Zergliederung und der Wiederaufbau zum Ganzen auf mehreren Seiten zugleich, die bildnerische Polyphonie, die Herstellung der Ruhe durch Bewegungsausgleich, all dies sind hohe Formfragen, ausschlaggebend für die künstlerische Verständlichmachung, aber noch nicht Kunst im obersten Kreis. Im obersten Kreis beginnt das Geheimnisvolle und der Intellekt erlischt kläglich. (1919) Meine Hand ist ganz Werkzeug einer ferneren Sphäre. Mein Kopf ist es auch nicht, was da funktioniert, sondern etwas anderes, ein höheres, ferneres Irgendwo. Ich muss da große Freunde haben, helle, aber auch dunkle. Das ist gleich, ich finde sie alle von großer Güte. (1918) Diesseits bin ich gar nicht fassbar. Denn ich wohne grad so gut bei den Toten wie bei den Ungeborenen. Etwas näher am Herzen der Schöpfung als üblich. Und noch lange nicht nahe genug. Geht Wärme von mir aus? Kühle?? Das ist jenseits aller Glut gar nicht zu erörtern. Am fernsten bin ich am frömmsten. (1) Manchmal träume ich ein Werk von ganz großer Spannweite durch das ganze elementare, inhaltliche und stilistische Gebiet. Das wird sicher ein Traum bleiben, aber es ist gut, sich diese heute noch vage Möglichkeit ab und zu vorzustellen. Es kann nichts überstürzt werden, es muss wachsen, es soll hinaufwachsen, und wenn es dann einmal an der Zeit ist, jenes Werk, desto besser! Wir müssen es noch suchen. Wir fanden Teile dazu, aber noch nicht das Ganze. Wir haben noch nicht die letzte Kraft, denn: uns trägt kein Volk. (4)
Hess, Walter: Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei, Hamburg 1998, S. 133-136
Wie er seine SchülerInnen lehrte
„Gemälde kommen ohne die Kontrolle des Bewussten zustande. Man weiß nicht genau, wie sie ausfallen werden. Auf jeden Fall kann man die besten Bilder nicht nur durch einen Willensakt erzeugen; sie entstehen von selbst.” Der Maler Paul Klee, von dem dieser Ausspruch stammt, hatte ein tiefes Verständnis für die organische Natur der Kunst. Als natürliche Folge dieser Auffassung ging er bei seiner Arbeit „nicht von vorgeformten, visuellen Naturbildern aus – er begann mit dem Bild selbst”. (Umschlagstext)
Die Feststellungen, die er in diesem Buch ( Schöpferische Konfession, H.L.) traf, wurden in vielen Tagebucheintragungen in den vorhergegangenen Jahren entwickelt, wie zum Beispiel: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. Was wir sehen, ist ein Vorschlag, eine Möglichkeit, ein Behelf. Die wirkliche Wahrheit selbst liegt zunächst unsichtbar zugrunde“ (J 1081 (J = Tagebücher, H.L.) 1917). „Bei der Kunst ist das Sehen nicht so wesentlich wie das Sichtbarmachen“ (J 1134; 1918). S. 21
Ellen Marsh hat die Verwandtschaft von Klees Werk mit der Kinderkunst untersucht:
Das Kind formt sein Bild ganz natürlich, indem es sowohl von innen – das innere Auge oder die Vorstellung – oder von außen – das äußere Auge oder die Welt der Natur – zeichnet. Seine materielle Darstellung dieses Bildes ist direkt, und obwohl die ästhetische Auswahl, die es trifft, für es genauso schwierig sein mag, wie die des erwachsenen Künstlers es ist, so wird sie in der Hauptsache doch von einer festen inneren Überzeugung oder einem inneren Zwang und nicht durch äußere Logik oder Beeinflussung ausgelöst. Es ist diese innere Gewissheit, die Klee erreichen möchte.
( Paul Klee und die Kunst der Kinder, COLLEGE ART JOURNAL, Winter 1957) S. 28
Zeugnisse seiner Schüler
„In der ersten Stunde wurden wir ermuntert, ein Blatt zu zeichnen. Einige Schüler lächelten nachsichtig über die allzu leichte Aufgabe. Langsam auf und abgehend, sagte Klee ein paar Worte, leise und mit großen Zwischenpausen; danach fühlten wir alle ohne Ausnahme, dass wir noch nie ein Blatt gesehen hatten, oder besser das Blatt, das Wesen des Blattes. Er ließ uns empfinden, wie das Leben durch seine Haupt-und Nebenadern strömt, wie dadurch seine Form bestimmt wird und wie das Zellgewebe leicht und verbindend wie ein Netz die Adern umspielt …
Ob es der Apfel, das Schneckengehäuse oder der Mensch (im Aktzeichnen) war, immer war es dasselbe: das Bedürfnis, den Weg der Schöpfung langsam und intensiv zurückzuverfolgen, vom ausgewachsenen Organismus ausgehend bis zu seinem Ursprung zurück, soweit uns Menschen der Einblick in diese Geheimnisse gestattet ist.“ (Marianne Ahlfeld-Heymann, Studentin am Bauhaus, Weimar 1924; EPK (Erinnerungen an Paul Klee) 64-65)
„Nach Jahren zurückdenkend, wurde es klar, dass er in kurzer Zeit unmerklich auf die Bahn neuer Erlebnisse lenkte – durch die Übungen, die er, manchmal zögernd, manchmal mit klarer Bestimmtheit, zu unternehmen vorschlug. Am Anfang seiner Klassen las er bisweilen aus einem Manuskript vor, der Klasse gewöhnlich den Rücken zukehrend und ab und zu zur Wandtafel gehend, um eine Figur zu zeichnen, welche das Gelesene fernerhin erläuterte. Dabei zeichnete er manchmal mit der linken, manchmal mit der rechten Hand, ganz wie es dem Feld der Tafel zu entsprechen schien, oder sogar mit beiden Händen zugleich. Sein Vortrag hatte etwas Lakonisches, beinahe Monotones; doch im Kamisol der Eintönigkeit trat der Reichtum der Ideen umso ungehinderter hervor. Dem Theatralischen des Klassenraums war er völlig abhold.“ (Alexander „Xanti“ Schawinsky, Student am Bauhaus bis 1926 und in der Folge Doktorand und Lehrassistent in der Theaterwerkstatt; EPK 69)
„Die pädagogische Arbeit von Klee am Bauhaus gliederte sich in die „Demonstration seiner Formentheorie“ (im zweiten und dritten Semester) und in die „Bildanalyse“ (in der Malklasse). Klees Formentheorie… ist so mannigfaltig und so ohne Ende wie das Leben selbst. Sie ist Ergebnis eines reichen schöpferischen Lebens. Gleichsam wie ein Zauberer machte er uns mit Blick, Wort und Geste – alle drei Ausdrucksmöglichkeiten mit gleicher Intensität wirken lassend – das Irreale zum Realen, das Irrationale zum Rationalen. Dinge, die im besten Falle nur gefühlsmäßig existent waren, wurden auf einmal graphisch fixierbar.
Im Anfang war es nicht immer leicht, ihm verstehend zu folgen. Doch allmählich ging es uns ein, dass uns hier einer – Klee – vom wirklichen Leben erzählte. Wir durften mit ihm die Entwicklung menschlichen Seins in ihrer ganzen Phantastik erleben. Wir folgten ihm durch Jahrtausende. Urerlebnisse, die uns bis dahin durch mechanische Dressur versperrt waren, machte Klee uns wieder zugänglich.“ (Christof Hertel, Student am Bauhaus; er starb vor Beendigung seines Studiums. Diese Würdigung Klees als Lehrer schrieb er für eine Sonderausgabe der BAUHAUSZEITSCHRIFT im Dezember 1931; EPK 97-98.) S. 33
Paul Klee, Eingeleitet und erläutert von Norbert Lynton, Spring Books, 1964
Warum ich das Bild von meinen „Dunkelgrünen Quadratbildern“ zu meinen „Weißen Quadratbilder“ genommen habe:
Wo ist die Quelle seines Schaffens? Klee durchdringt meiner Meinung nach alle Kategorien und dringt bis zur Erfahrung des Seins und dem Ursprung der Schöpfung vor und schafft aus diesem Seinsgrund heraus. Daher sind seine Bilder eher bei meinen Weißen Quadratbildern einzuordnen. Er bewegt sich von der Ebene der Kontemplation aus. Er nimmt an der Schöpfungsgeschichte teil – er ist selbst Schöpfer – und lehnt daher auch alle Nachahmung ab. Das gibt ihm diese große Freiheit, Leichtigkeit und den Humor.
Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.
Paul Klee
Was könnte hier sichtbar gemacht werden?
In diesem grünen durchsichtigen Farbraum, der ein einziger grüner Klang ist, zeigen sich mehr oder wenig exotische Gewächse, die nicht zu deuten sind. Sie kommen aus einer anderen Welt und erinnern doch auch an Bekanntes. Eine Welt des Vegetativen.
Die von links an einem Stängel wie ein Hals ins Bild ragende Pflanze beherrschend die ganze Szene und fällt auch dadurch auf, dass sie an ein lächelndes Gesicht erinnert. Das Lächeln ist freundlich, wissend aber auch etwas genüsslich. Wer oder was lächelt aus dieser Pflanze? Von meinen spirituellen, aber auch naturwissenschaftlichen Kenntnissen her, weiß ich, dass unsere Wirklichkeit bewusstseinsgeneriert ist. Das gleiche Bewusstsein, das uns lächeln macht, offenbart sich auch in den Pflanzen. Die Welt des Vegitativen besteht nicht aus mechanisch funktionierenden materiellen Zellgbilden, sie ist lebendig. Das Bild wirkt beruhigend und ermutigend.
Vielleicht ist diese lächelnde Pflanze aber auch nur eine humorvolle Geste. Aber Humor kommt auch aus einer souveränen und beruhigenden Wirklichkeit.
1941 sagt Paul Klee:
Diesseitig bin ich gar nicht fassbar. Denn ich wohne grad so gut bei den Toten, wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. Und noch lange nicht nahe genug.
„Die Kunst”, so schrieb er einmal, „geht über den Gegenstand hinaus, über den realen wie den imaginären. Sie spielt mit den Dingen ein unwissendes Spiel. So wie ein Kind im Spiel uns nachahmt, ahmen wir im Spiel die Kräfte nach, welche die Welt erschufen und erschaffen“. Diese Lust am Erschaffen von Formen und Zeichen, für die es weder in der Natur noch in den von Menschenhand gestalteten Werken Vorbilder gibt, war für Klee die Urquelle seiner künstlerischen Tätigkeit. Alles Nachempfinden und Nachschöpfen von bereits Vorhandenem lehnte er für sich ab; er selber wollte Schöpfer sein seiner eigenen Welt, in der Gesetze walten, denen nur der gehorchen kann, der sie aufgestellt hat, nämlich der Künstler selbst. Von allen Kunsttheorien, die jemals aufgestellt worden sind, gehen seine am weitesten, was die Freiheit des künstlerischen Schaffens anbetrifft; sie fordern aber gleichzeitig auch ein Höchstmaß an Disziplin und Verantwortungsbewusstsein, ohne die ein solches Kunstwerk, da es „unvergleichbar” ist, zwangsläufig zum chaotischen Machwerk herabsinkt.
Lindemann, Gottfried, Kunst, Künstler Kunstwerk, Essen 1966, S. 112
(Wer sich weiter mit Paul Klee befassen möchte, kann auf eine umfangreiche Literatur zurückgreifen. Informativ ist auch der Film: Diesseitig bin ich gar nicht fassbar” vom ARD 1971 im Internet)