Weiße Quadratbilder mit farbigen Quadraten bis heute
Herbst 2022
Dezember 2022
Die Farben der Bewusstseinsenergie
Dieses Bild habe ich gemacht, nachdem ich eine bestimmte Meditation kennengelernt hatte, bei der es um die Herzensenergie ging, die man mit dem Bewusstsein zu verschiedenen Orten, Menschen oder ins ganze Weltall und in jedes Molekül schicken sollte. Dies angeleitete Meditation hatte durchaus eine gute Wirkung, schien mich aber mit diesen Dimensionen zu überfordern. Diese Energie sollte man sich nun auch noch genau vorstellen, z. B. ihre Farbe und ihre Struktur. Auch das überforderte mich wohl. Was mir erschien, war nur ein Hauch von Rot, der in einen Hauch von Grün überzugehen schien. Einige, die diese Meditation auch machten und die ich danach fragte, hatten damit wohl keine Schwierigkeit. Ich habe dann dieses Bild mit diesem Kranz von kleinen roten und grünen Quadraten gemacht. Es ist freundlich und tut auch wohl gut, wenn man sich damit beschäftigt. Richtig überzeugt hat es mich aber nicht. Als ein Enkelkind mir dann aber sagte, es würde ihm Gefallen, habe ich es so grade noch akzeptiert.
Nun habe ich einen Text von Hildegard von Bingen gefunden, der mich bestätigt, dass meine Intuition doch vielleicht nicht so ganz daneben liegt:
„Malen wir uns die Bilder, die sie für das Grün findet, noch einmal aus. Als das Grün von der Herzkraft himmlischer Geheimnisse umarmt wird, da erglüht es, da errötet es, da wandelt es sich in die Komplementärfarbe und Komplementärkraft des Rot. Mit den beiden Farben Rot und Grün und deren Energetik arbeitet Hildegard immer wieder. Das Rot ist ihr so nahe wie das Grün, es ist für sie der Feueratem Gottes, die flammende Liebe, die für sie vor allem von der Gestalt Christi ausstrahlt.
Doch auch das Grün gewinnt in einer ihrer Visionen Gestalt, gleichsam göttliche Gestalt.“ Es erscheint als eine Frauengestalt in einem grünen Seidenmantel, die das Rad des Kosmos von innen her erfüllt. Die Frauengestalt hält dieses kosmische Rad nicht von außen in der Hand, lässt es nicht von außen laufen, sondern sie erfüllt dieses Rad, das für sie zugleich der kosmische Kreis ist, von innen. Für Hildegard ist diese Frau die Verkörperung der Grünkraft, ist »Frau Weisheit«, ist Sophia. (Weiteres dazu bei meinen Weißen Quadratbildern mit farbigen Quadraten: „Goldenes Feld und Grünkraft“ (2010)
10.3.2023
Wiederschein von wachem offenherzigen verkörpertem Gewahrsein
Als ich diese Bild gemacht hatte, fand es mein Enkelkind Thea (14 Jahre) sehr schön, was ich wiederum sehr schön fand. Thea fragte dann aber, wie ich das Bild genannt hätte. Ich habe mich dann für den obrigen Namen entschieden, auch wenn er sehr sperrig daherkommt. Ich hätte ja auch einfach sagen können: „Ein Bild, das guttut“. Das erklärt aber noch nichts. Also will ich einen Erklärungsversuch machen:
Wenn wir uns fragen, wer wir wirklich sind, kommen wir schnell darauf, dass das einzige, das wir sicher wissen, ist, dass wir sind und dass wir wissen, dass wir sind. Dieses Bewusstsein ohne Gegenstand kann man Gewahrsein nennen. Dieses Gewahrsein können wir nicht mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen und damit uns auch nicht vorstellen. Es ist etwas Geistiges.
Es ist wie mit der Schwerkraft. Wir sehen sie nicht, aber wir wissen trotzdem, dass es sie gibt, weil wir sie ja ständig erleben. Was wir ständig erleben, fällt uns nicht mehr auf und ist selbstverständlich. Ein Fisch wird ja wahrscheinlich auch nicht wissen, dass er im Wasser lebt. So ähnlich ist es mit unserem Gewahrsein.
In diesem Sein und Bewusstsein sind wir wahrscheinlich mit dem ewigen Sein und Bewusstsein verbunden, das in den Religionen Gott genannt wird. Alles entsteht aus diesem ewigen Sein und außerhalb gibt es nichts.
In der Kontemplation, der gegenstandslosen Meditation, wenn unsere Gedanken zur Ruhe gekommen sind, in der Leere, versuchen wir dieses ewige Sein und Bewusstsein zu erleben.
Wenn wir das direkt erleben wollen, heißt das, Gewahrsein nimmt Gewahrsein wahr. Da aber Gewahrsein nicht etwas Sinnliches ist, und wir körperlich sind, können wir nichts viel damit anfangen. Trotzdem erleben wir etwas und dieses Erleben hat auch eine Wirkung.
Was wir erleben können, ist eventuell offene Weite. Diese Weite und Offenheit erleben wir vielleicht als befreiend, also durchaus als etwas Positives.
Aber auch das ist schon wieder etwas Körperliches, sind körperliche Vorstellungen. Als körperliche Wesen können wir nur etwas wahrnehmen und uns vorstellen, wenn es mit unseren Sinnen zu tun hat. Wenn wir unser Gewahrsein auf bestimmte Körperbereiche lenken, können wir auf diese Weise eine Resonanz erleben. Lenken wir diese offene Weite z.B. auf unseren Herzbereich, dann kann sie zur offenherzigen Weite werden, die aus unserer menschlichen Erfahrung Liebe und Wohlwollen wacheruft. („Man sieht nur mit dem Herzen gut.“)
Der letzte Schritt ist dann, unser Gewahrsein auf unseren ganzen Körper und auf die ganze äußere Wirklichkeit zu lenken. Damit ist die Überschrift erklärt und wir können uns auf den Weg machen.
Der weiße Rahmen macht uns darauf aufmerksam, dass wir uns auf den Weg in die Kontemplation machen sollen. Auch die Betrachtung des Bildes kann das erreichen, so hofft der Autor.
Das Schwierigste bei diesem Bild war, die richtige Farbe zu finden. Ich glaube, dass mir das einigermaßen gelungen ist. Bestärkt werde ich dabei durch Goethes Farbenlehre:
„Da sich keine Farbe als stillstehend betrachten lässt, so kann man das Gelbe sehr leicht durch Verdichtung und Verdunklung ins Rötliche steigern und erheben. Die Farbe wächst an Energie und erscheint im Rotgelben mächtiger und herrlicher.
Alles, was wir vom Gelben gesagt haben, gilt auch hier, nur im höheren Grade. Das Rotgelbe gibt eigentlich dem Auge das Gefühl von Wärme und Wonne, indem es die Farbe der höheren Glut sowie den mildern Abglanz der untergehenden Sonne repräsentiert. Deswegen ist sie auch bei Umgebungen angenehm und als Kleidung in mehr oder minderem Grade erfreulich oder herrlich. Ein kleiner Blick ins Rote gibt dem Gelben gleich ein anderes Ansehen, und wenn Engländer und Deutsche sich noch an blassgelben hellen Lederfarben genügen lassen, so liebt der Franzose, wie Pater Castel schon bemerkt, das ins Rot gesteigerte Gelb; wie ihn überhaupt an Farben alles freut, was sich auf der aktiven Seite befindet.“
17.4.2023
Resonanz von wachem verkörpertem Gewahrsein
Zur Erklärung dieses Bildes muss ich eine bestimmte spirituelle Methode zur Kontemplation erklären.
Der weiße Rahmen signalisiert, dass es um Kontemplation gehen soll, um Gewahrsein als gegenstandsloses Bewusstsein.
Dazu der spirituelle Zusammenhang:
Wenn wir uns fragen, wer wir wirklich sind, kommen wir schnell darauf, dass das einzige, das wir sicher wissen, ist, dass wir sind und dass wir wissen, dass wir sind. Dieses Bewusstsein ohne Gegenstand kann man Gewahrsein nennen. Dieses Gewahrsein können wir nicht mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen und damit uns auch nicht vorstellen. Es ist etwas Geistiges. (s. unten) Es ist wie mit der Schwerkraft. Wir sehen sie nicht, aber wir wissen trotzdem, dass es sie gibt, weil wir sie ja ständig erleben. Was wir ständig erleben, fällt uns nicht mehr auf und ist selbstverständlich. Ein Fisch wird ja wahrscheinlich auch nicht wissen, dass er im Wasser lebt. So ähnlich ist es mit unserem Gewahrsein.
In diesem Sein und Bewusstsein sind wir wahrscheinlich mit dem ewigen Sein und Bewusstsein verbunden, das in den Religionen Gott genannt wird. Alles entsteht aus diesem ewigen Sein und außerhalb gibt es nichts. Diese Weltsicht wird auch durch die heutige Quantenphysik unterstützt.
In der Kontemplation, der gegenstandslosen Meditation, wenn unsere Gedanken zur Ruhe gekommen sind, in der Leere, versuchen wir dieses ewige Sein und Bewusstsein zu erleben.
Wenn wir das direkt erleben wollen, heißt das, Gewahrsein nimmt Gewahrsein wahr. Da aber Gewahrsein nicht etwas Sinnliches ist, und wir körperlich sind, können wir nichts viel damit anfangen. Trotzdem erleben wir etwas und dieses Erleben hat auch eine Wirkung.
Was wir erleben können, ist eventuell offene Weite. Diese Weite und Offenheit erleben wir vielleicht als befreiend, also durchaus als etwas Positives. Darum geht es bei diesem Bild.
Aber auch „Offene Weite“ ist schon wieder etwas Körperliches, sind körperliche Vorstellungen. Als körperliche Wesen können wir nur etwas wahrnehmen und uns vorstellen, wenn es mit unseren Sinnen zu tun hat. Wenn wir unser Gewahrsein auf bestimmte Körperbereiche lenken, können wir auf diese Weise eine Resonanz erleben, die aus dem Erfahrungsschatz des Gehirnes dieses Körperbereichs gespeist wird.
Ein guter Ansatzpunkt zum Erlebnis „Offener Weite“ ist daher das sogen. Spirituelle Herz, die Höhle des Herzens, dass auf unserer rechten Brustseite angesiedelt sein soll. Der vielleicht größte indische Weise und Heilige des vorigen Jahrhunderts, Rama Maharshi, spricht davon. Viele Menschen glauben, dass dieses spirituelle Herz sich auf der linken Seite oder in der Mitte der Brust befindet. Interessanterweise findet man im Alten Testament die Aussage:
“Des Weisen Herz ist zu seiner Rechten; aber des Narren Herz ist zu seiner Linken.“ Prediger 10
Für eine Resonanz der offenen Weite ist die linke Seite der Brust meiner Vermutung nach deshalb so gut geeignet, weil es im Bereich der Lunge keine besonderen Gefühle gib und daher kein Bereich im Gehirn mit Erfahrungen verbunden sind. Für eine geistige, also nicht körperliche Erfahrung gibt es daher kaum Ansatzpunkte. Als Boddhidarma, der den Buddhismus nach China gebracht hat, vom Kaiser gefragt wurde, was die größte Wahrheit sei, soll er geantwortet haben: „Offene Weite, nichts Heiliges.“
Mein Bild soll in diese Offene Weite führen. Das fast „geistige“ Blau, wird durch das darunterliegende Weiß durchbrochen.
Mai 2023
Der innere Himmel – Gewahrsein nimmt Gewahrsein wahr
Der weiße Rahmen ist die Aufforderung, eine kontemplative Haltung einzunehmen, also eine offene Haltung, die auf Empfangen ausgerichtet ist und mehr auf die innere Erfahrung.
Die weiße Fläche stellt die Leere dar, die offene Weite. Der goldene Rand ist die Verbindung zwischen dem Rahmen und der weißen Fläche. Er weist vielleicht auf das hin, was ich erfahre, wenn ich mich auf die Leere der weißen Fläche einlasse. Bei den mittelalterlichen Malern stellt der goldene Hintergrund den himmlischen Bereich dar. Gold ist ja nicht einfach eine Farbe. Gold ist etwas substantielles und das kostbarste Metall. Gold steht auch für Leuchten und Licht.
Sich der weißen Fläche gewahr zu sein, kann als reines Gewahrsein bezeichnet werden, als Bewusstsein ohne Inhalt: Gewahrsein nimmt Gewahrsein wahr.
Es gibt viele Möglichkeiten, zu reinem Gewahrsein zu kommen. (s. auch unten)
Auch dieses Bild scheint mir dazu geeignet.
Möglicher Umgang mit diesem Bild:
Schauen Sie zuerst auf den Goldrand auf der linken Seite des Bildes und dann auf den rechten. Nehmen Sie dann beide Goldränder gleichzeitig in den Blick und verharren sie mit ihrem Blick auf der weißen Innenfläche. Die beiden Goldränder bleiben in den Augenwinkeln mit im Blick. Auch der obere und der untere Goldrand kann mit dazu genommen werden. Sie schauen mit einem „Weichen Blick“, sie schauen in den leeren Raum. Ihre Gedanken kommen zur Ruhe und Sie kommen in den Zustand der Präsenz, der Wahrnehmung des reinen Seins. Gewahrsein nimmt Gewahrsein wahr. Verharren sie eine Zeitlang bei diesem Schauen.
Was erlebe ich, wenn Gewahrsein Gewahrsein wahrnimmt? Kann ich überhaupt noch etwas erfahren, wenn ich mich auf die Leere einlasse?
Bei diesen Fragen geht es um den Kern der Kontemplation und der Mystik. Ich werde daher einige Texte abdrucken, die diesen Fragen ausführlicher beantworten. Es geht um den Kern der Spiritualität:
Der innere Himmel
Der Himmel ist die zentrale Metapher für die Natur des Bewusstseins. Wobei sich hier das Wort „Bewusstsein“ nicht auf die Bewusstseinsinhalte bezieht, sondern auf den Raum, in dem alle inneren und äußeren Phänomene auftauchen. Dieser innere Himmel dehnt sich genauso grenzenlos aus wie der äußere. Er kann alles umfassen und beinhaltet ein grundlegendes Potenzial für Bewusstheit.
Um deutlich zu machen, dass es sich hier um eine spezifische Qualität des Bewusstseins handelt, benütze ich dafür das Wort „Gewahrsein“. Bei dem Begriff „Gewahrsein“ erfassen wir intuitiv, dass er unsere alltägliche Wahrnehmung übersteigt. Gewahrsein ist mehr als Dinge sehen, Geräusche hören oder sich der Gedanken bewusst sein. Im Gewahrsein werden wir uns des inneren Raumes bewusst, in dem alle Erfahrungen enthalten sind. Der innere Horizont dehnt sich aus, wir lauschen in den Raum hinein und schmecken dabei den Seinsgrund, der jeder konkreten Erfahrung zugrunde liegt.
Das verändert unser inneres Erleben auf eine ähnliche Weise, als wenn wir uns plötzlich mitten im alltäglichen Getriebe des Lebens der Weite des Himmels bewusstwerden und spüren, dass die konkreten Dinge unseres Lebens in einen viel größeren Kontext eingebettet sind. Sofort verringert sich innerlich das Gefühl der Aktivität und des „Selbst-machen-Müssens“ und wir werden empfänglicher für die Kraft des Lebens. Im Gewahrsein lassen wir die Dinge kommen und entstehen. Wir suchen sie nicht und wir machen sie nicht. Was hätte es auch für einen Sinn, angesichts unserer Kleinheit in der Größe und Weite des Lebens die Dinge machen oder kontrollieren zu wollen?
Im Zen werden die Eigenschaften des Gewahrseins mit den Worten „offene Weite“ beschrieben. Wenn wir diesen Ausdruck näher betrachten, setzt er sich aus zwei Begriffen zusammen: aus Offenheit und Weite. Diese Begriffe sind verwandt, aber nicht identisch. Offenheit ist die grundlegende Eigenschaft des Gewahrseins, aus der heraus sich die Erfahrung der Weite ergibt. Offenheit meint, dass der Bewusstseinsraum genauso wenig festgelegt ist wie der Himmelsraum. Alles kann hier in Erscheinung treten und sich auf seine eigene, natürliche Weise verändern und wieder auflösen. Sogar das Nichts ist darin eingeschlossen.
Offenheit ist eine Eigenschaft des Seins, sie ist keine Erfahrung. Wir sind offen und dadurch entstehen die Erfahrungen von Weite und Ausdehnung. Nur durch die totale Offenheit und Transparenz als grundlegende Eigenschaft des Himmels können wir die Tiefe des Raumes und die grenzenlose Weite erfassen. Wenn im Zen also von „offener Weite“ gesprochen wird, wird hier die Grundeigenschaft des Gewahrseins und die Erfahrungsebene gleichzeitig angesprochen. Das ist sehr treffend, da es uns einen konkreten Geschmack davon gibt, wie der Raum des Bewusstseins, der innere Himmel, erfahren wird.
Allerdings ist es wichtig, nie zu vergessen, dass es letztlich nicht darum geht, die Erfahrung von Weite oder Ausdehnung zu genießen, sondern darum, die Grundeigenschaft der Offenheit, einer totalen Transparenz, zu verkörpern. Das Gewahrsein in der Tiefe verstehen und daraus leben können wir nur, wenn wir in diese grundlegende Offenheit eintauchen, die wir zuinnerst sind.
Stiegler, Richard: Im Einklang leben, spirituelle Grundhaltung und Alltag, Freiburg 2016, S. 129 f
Mittlerweile gibt es umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen zum Gewahrsein, dem reinen Bewusstsein:
Eine Nachricht zur Erforschung von Gewahrsein ohne Ich-Gefühl aus:
https://idw-online.de/de/news772893
Gewahrsein ohne Ich-Gefühl
Bisher umfangreichste Studie zum Erleben des sogenannten reinen Bewusstseins bei der Meditation veröffentlicht. Bei der Meditation kann der Zustand des sogenannten reinen Bewusstseins erlebt werden, indem das Bewusstsein als solches wahrgenommen wird. Dieser Zustand kann unterschiedlich erlebt werden, aber es gibt offenbar Empfindungen, die spezifisch für ihn sind, und auch Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken, die als solche unspezifisch sind und lediglich begleitend auftreten können. Das sind nur einige der Ergebnisse der bisher umfangreichsten Befragung von Meditierenden zum Erleben des reinen Bewusstseins, die bisher vorgenommen wurde und deren Ergebnisse nun in der wissenschaftlichen Zeitschrift PLOS ONE erschienen sind. Für die Studie hatten Prof. Dr. Thomas Metzinger vom Philosophischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Dr. Alex Gamma von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich einen Online-Fragebogen mit mehr als hundert Fragen entworfen und ihn von tausenden Meditierenden weltweit beantworten lassen. „Forschungsziel war für uns aber nicht, mehr über Meditation zu erfahren, sondern mehr über das menschliche Bewusstsein“, sagt Metzinger. „Unsere Arbeitshypothese war, dass das reine Bewusstsein die einfachste Form des bewussten Erlebens ist. Und unser Ziel war es, von dieser Hypothese ausgehend ein Minimalmodell des menschlichen Bewusstseins zu entwickeln.“ Die Studie ist Teil des internationalen „Minimal Phenomenal Experience Project“, das von Metzinger geleitet wird.
Der Online-Fragebogen ist in den fünf Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch abgefasst und wurde im vergangenen Jahr von rund 3600 Meditierenden ausgefüllt. Neben Fragen nach Informationen zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern selbst, etwa zu Geschlecht, Alter und den angewandten Meditationstechniken, enthielt das Formular 92 Fragen zum Erleben von reinem Bewusstsein oder „reinem Gewahrsein“, wie es auch genannt wird. Diese Fragen lauteten zum Beispiel „Hatten Sie Temperaturempfindungen?“, „War Ihre Stimmung positiv?“ oder „Hatten Sie Gedanken?“. Sie konnten jeweils mit einer Art virtuellem Schieberegler von „nein“ bis „ja, sehr stark“ beantwortet werden. 1.400 der Fragebögen wurden vollständig ausgefüllt, sodass Metzinger und Gamma sie für eine sogenannte Faktoranalyse verwenden konnten. Mit dieser Art der statistischen Auswertung suchten sie nach Gruppen von Fragen, die häufig ähnlich beantwortet wurden. „Im Ergebnis fanden wir zwölf Gruppen, wodurch wir wiederum zwölf Faktoren benennen konnten, mit denen sich das reine Bewusstsein beschreiben lässt“, sagt Metzinger. „Typisch für das reine Bewusstsein scheint demnach beispielsweise ein Empfinden von Stille, Klarheit und eines wachen Gewahrseins ohne Ich-Gefühl zu sein.“ Eher unspezifisch sei das Erleben von Zeit, Anstrengung oder Verlangen, das durchaus begleitend auftreten könne.
„Mit diesen zwölf Faktoren haben wir nun die Möglichkeit, prototypisch ein Minimalmodell des menschlichen Bewusstseins zu entwickeln“, sagt Metzinger. Außerdem biete die Studie zahlreiche Ansatzpunkte für weitere Forschungen. Unter anderem hätten bereits Hirnforscher aus den USA, Australien und der Schweiz angefragt, ob sie den Fragebogen für eigene Zwecke verwenden dürften. Metzinger selbst will herausfinden, ob reines Bewusstsein – also die Qualität der Bewusstheit selbst – auch in anderen Situationen als bei der Meditation erlebt wird: „Durch Berichte, die wir ebenfalls als Antworten bekamen, haben wir Hinweise darauf erhalten, dass reines Bewusstsein auch in anderen Situationen erlebt wird, zum Beispiel bei Unfällen, bei schweren Krankheiten, im Grenzbereich zwischen Schlafen und Wachen oder
auch beim versunkenen Spielen als Kind.“
Es gibt auch interessante Aussagen von Meditierenden zur Erfahrung des reinen Gewahrseins:
Gewahrsein, was es heißt präsent zu sein
Für manche ist die Erfahrung, des Gewahrseins gewahr zu sein, recht neu, andere finden es verwirrend, irreführend und schwierig, dranzubleiben. Einige finden es bizarr.
In einem Workshop bezeichnete ein Teilnehmer dieses Gewahrsein der Erfahrung des Gewahrseins als »wirklich seltsam«. Als ich ihn fragte, wie sich »seltsam« anfühlte, sagte er: »Ich meine, es war wirklich merkwürdig.« Daher fragte ich ihn, wie sich »merkwürdig« anfühlte, und er sagte: »Einfach wirklich fremd.« Darauf versuchte ich ihm Folgendes zu erklären: »Die Worte, die wir gebrauchen, sind sprachliche Symbole, die häufig nicht genau das erfassen, was wir meinen oder was wir erfuhren. Und manchmal spiegeln jene Worte einen Vergleich zwischen dem, was wir in der Vergangenheit erfahren haben und was wir jetzt erwarten, mit dem, was im gegenwärtigen Moment passiert. Wenn Sie die Vergleiche und Symbole wie >seltsam<, >merkwürdig< und >fremd< loslassen und für einen Moment bei der Erfahrung bleiben, schauen Sie einfach, ob Sie spüren können, wie es sich anfühlte, des Gewahrseins gewahr zu sein.« Er war still, während die Gruppe auf seine Antwort wartete. Dann lächelte er und sagte tatsächlich mit einem leuchtenden Gesichtsausdruck: Es war unglaublich friedvoll. Es war so klar, so leer und doch so voll. Es war erstaunlich.«
Er war nicht der Einzige. Viele äußerten ähnliche Eindrücke, die in solchen Sätzen zum Ausdruck kamen: »So weit wie der Himmel.« »So tief wie der Ozean.« »Vollkommener Friede.« »Freude.« »Ruhe.« »Sicherheit.« »Verbundenheit mit der Welt.« »Gott.« »Liebe.« »Zu Hause im Universum.« »Zeitlos.« »Umfassend.« »Unendlichkeit.«
Was geschieht hier? Was bringt so unterschiedliche Menschen aus aller Welt dazu, dies so auszudrücken? Ich will nichts beschönigen, einige Teilnehmer haben große Schwierigkeiten mit diesem Schritt, beschreiben ihn nicht oder sagen einfach, dass ihr Geist umherwanderte, sie sich verwirrt fühlten oder sich einfach auf den Atem fokussierten. Doch viele andere äußerten sich ähnlich, unabhängig von ihren Meditationserfahrungen, und zwar in jedem Workshop, den ich angeboten habe. Kürzlich bot ich die Übung mit dem Bewusstseinsrad (Die Methode Siegels die Breite der Meditationserfahrung mit Hilfe eines Rades abzubilden, mit der Nabe des Rades als reines Bewusstsein als Mitte, H.L.) abzubilden dreitausend Menschen in einem Raum an und Hunderte hoben ihre Hände, als ich sie fragte, ob sie ein Gefühl der Ausdehnung oder des Verlusts der Zeit empfanden. Teilnehmer, die mich zu verschiedenen Lehrveranstaltungen begleiteten, merkten an: »Niemand wird glauben, dass diese Äußerungen immer wieder vorkommen.« Glücklicherweise habe ich die Beschreibungen bei einer Umfrage mit zehntausend Personen systematisch aufgezeichnet, sodass wir die Daten haben. Und die Muster tauchen fortwährend auf, wenn die Menschen sich in die Übung vertiefen. Eine Teilnehmerin gab mir sogar eine Notiz nach dem gemeinsamen Teil des Workshops, in der sie schrieb, dass sie nicht offen äußern konnte, was bei diesem Schritt geschah, weil sie dachte, dass andere dachten, sie würde damit herumprahlen. Sie habe »ein erstaunliches Gefühl der Ausdehnung und des Friedens« gespürt, »ein Gefühl der Ganzheit, das ich nie zuvor hatte«. Ein Mann sagte sogar, dass er so viel Liebe gefühlt hätte, dass er die Erfahrung nicht hätte teilen können, und zwar aus Angst, dass seine Arbeitskollegen im Seminar ihn als schwach betrachten würden. Obgleich jede dieser Beschreibungen einzigartig ist, gibt es in allen sehr ähnliche Gefühle der Liebe, der Freude und einer weit offenen und zeitlosen Ausdehnung. Ich weiß von mir selbst, dass jedes Mal, wenn ich die Rad-Übung mache, sich der Nabe-in-der-Nabe-Schritt auf subtile Art und Weise anders anfühlt. Manchmal scheint es kaum eine Veränderung zu geben und ich stecke auf dem Rand fest, denke an Dinge, die ich mir erhoffe, oder werde von Erinnerungen an vergangene Übungen fortgerissen und wünsche mir, dass sie wiederkehren. Wenn ich erwarte, dass die Dinge einen bestimmten Verlauf nehmen, tun sie es für gewöhnlich nicht. Teil der Herausforderung einer wiederholten Übung ist es, frühere Erfahrungen loszulassen und sich einfach in den Fluss fallen zu lassen — in diesem Fall, in der Nabe des Gewahrseins zu ruhen.“
Siegel, Daniel, Gewahrsein, Was es heißt präsent zu sein, Freiburg 2020, S. 146 f
Wie komme ich in den Zustand des reinen Gewahrseins, der auch Präsenz genannt wird?
Zugänge zur Präsenz
Präsenz ist die Urerfahrung unserer Existenz, unseres Seins, und insofern eine andere Art von Erfahrung als unsere üblichen Alltagserfahrungen. Normalerweise nehmen wir immer innere und äußere Objekte wahr, Gedanken, Empfindungen oder Geräusche und visuelle Eindrücke. Aber in der Erfahrung der Präsenz richtet sich der Fokus unserer Aufmerksamkeit auf das Aufmerksamsein selbst. Hier gibt es kein Objekt, sondern nur SEIN, ungeformt und ungerichtet.
Obwohl dieses SEIN uns immer begleitet — es ist schließlich die Grundlage unseres Daseins —, braucht es dennoch unsere Aufmerksamkeit, dass es als Präsenz erfahrbar und dadurch für uns zur unmittelbaren Wirklichkeit werden kann. Es gilt zu lernen, unsere Aufmerksamkeit auf das SEIN auszurichten. Das ist kein Tun und braucht keine Anstrengung. Wir müssen dazu kein anderer werden, als wir sind, und es braucht keinerlei Entwicklung.
Der Zugang zu Präsenz ist mehr ein Sich-Erinnern als ein Tun. Wir erinnern uns ans SEIN und richten den Fokus unserer Aufmerksamkeit auf das Aufmerksamsein selbst und nicht auf den Inhalt unserer Erfahrung. Je ausschließlicher das geschieht, desto intensiver tauchen wir in die Erfahrung von Präsenz ein.
Da es für uns Menschen aber eine ungewöhnliche Perspektive ist, nicht auf die konkreten Erfahrungen zu schauen, sondern ungerichtet zu lauschen, erscheint es zunächst gar nicht leicht, das zu vollziehen. Doch so schwer es im ersten Moment erscheinen mag, so selbstverständlich und leicht kann diese Perspektive mit der Zeit werden. Um sich auf diese Art des ungerichteten Lauschens einzustimmen, ist es hilfreich, wenn wir zwei Grundübungen machen: „Das Schauen ins Nichts“ und „das Schauen auf die Totalität der Erfahrung“.
Schauen ins Nichts
Beim Schauen ins Nichts wenden wir ein sehr einfaches Prinzip an, das für viele Menschen sofort umzusetzen ist. Wir richten unsere ganze Aufmerksamkeit und unser Interesse auf die Leere. Das ist leichter, als wir zunächst denken. Wir nutzen dazu die Zwischenräume zwischen den Erfahrungsobjekten: Wir lauschen zum Beispiel auf die Pausen der Lautlosigkeit zwischen den Geräuschen. Wir schauen auf die Räume zwischen den tanzenden Schneeflocken oder zwischen den Blättern am Baum. Wir achten auf die Räume der Stille zwischen den Gedanken oder konzentrieren uns auf den Moment der Bewegungslosigkeit in der Atempause zwischen Ausatmen und Einatmen.
In all diesen Fällen richten wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf das Nichts aus. Unsere Sinne können in der Leere nichts Greifbares wahrnehmen, doch wenn wir vollständig aufmerksam sind ohne eine Wahrnehmung, dann bleibt eine intensive reine Form des Aufmerksamseins. Hier stellt sich die Erfahrung des SEINS ein. Denn Aufmerksamsein ohne etwas wahrzunehmen ist nicht nichts oder etwas Totes, sondern lebendige Präsenz, ungerichtet und formlos. Aus diesem Grund nennt man diesen Zugang in manchen Traditionen „Schauen ins nackte Sein“.
Allerdings ist es notwendig, um diese Erfahrung zu machen, dass wir ein wirkliches Interesse für das Nichts, das SEIN selbst entwickeln. Ohne Interesse wird unser Geist sich nicht auf das Nichts konzentrieren können. Und erst in Momenten von vollständiger Konzentration erfahren wir im Nichts eine intensive Präsenz — das SEIN.
Diese Präsenz ist eine Oase der Reinheit und Ruhe zwischen den Stürmen des Lebens, die uns immer offensteht. Doch dass sie für uns zur Lebenswirklichkeit wird, ein ruhender tragender Pol im Auf und Ab des Lebens, hängt davon ab, wie viel Liebe und Hingabe in uns für das Nichts entsteht. Menschen, die eine tiefe Liebe zum Nichts entwickeln, werden sich auf eine natürliche Weise immer wieder danach sehnen und darauf ausrichten.
Das ist nicht anders bei einer Liebesbeziehung zwischen Menschen. Eine Person, die wir lieben, suchen wir. Wir spüren förmlich einen Sog von ihr ausgehen und wir wollen sie kennenlernen und ihr nahe sein. Liebe richtet unsere Aufmerksamkeit auf eine natürliche Weise auf den oder das Geliebte aus. Lieben wir das Nichts und die Stille darin, ist uns das SEIN nah.
Schauen auf die Totalität
Wenn wir über den Zugang des Schauens ins Nichts das SEIN aufsuchen, haben wir manchmal den Eindruck, dass SEIN eine Dimension jenseits der normalen Erfahrungen und der Erscheinungen der Welt ist. Aber SEIN ist umfassend und schließt nichts aus. Besonders deutlich wird das in der Metapher von Welle und Wasser. Wie auch immer Wasser in Erscheinung tritt, als Welle, Bach, See oder Wolke, es ist und bleibt formloses Wasser. Und so ist jede Erscheinung, jede Erfahrung und jede Handlung im Grunde durchdrungen von SEIN. Nur weil wir Menschen in der Regel immer sehr fokussiert auf die Oberflächendimension der Phänomene schauen, erfassen wir das Ganze, die grundlegende Dimension des SEINs darin nicht.
Wenn wir das Umfassende am SEIN erfahren wollen, ist es daher hilfreich, einen anderen Zugang zu wählen: Wir schauen dabei auf die Totalität, auf die Ganzheit der augenblicklichen Erfahrung. Auch das ist kein Tun, sondern nur eine besondere Art der Aufmerksamkeit, bei der wir den Fokus unserer Aufmerksamkeit ganz weit lassen.
Wir öffnen zum Beispiel die Augen und schauen mit einem „weichen Blick“. Dabei wird zwar das Sehen unscharf, aber wir erfassen das ganze Sichtfeld. Unser Schauen wird umfassend. Oder wir hören nicht mehr fokussiert auf die einzelnen Geräusche und deren Bedeutung, sondern auf die Ganzheit der Geräusche ohne Verstehen und ohne die üblichen Zuordnungen. Wir fühlen uns dabei vielleicht wie ein kleines Kind, das sich zutiefst sicher und geborgen fühlt, wenn es die Stimmen und Geräusche der Eltern im Hintergrund als Gemurmel hört. Der Inhalt der Worte hat keinerlei Bedeutung dabei. Oder wir spüren die Gesamtheit unserer augenblicklichen Körperempfindungen, ohne genauer zu differenzieren, welche Empfindung wohin gehört.
Das Prinzip ist immer das Gleiche. Wir sind auf eine unscharfe, unfokussierte Weise aufmerksam und erfassen die Ganzheit der augenblicklichen Wahrnehmungen. Je tiefer wir in die Wahrnehmung der Totalität des augenblicklichen Erlebens eintauchen und je vollständiger unsere Aufmerksamkeit dabei ist, desto mehr verschwinden alle Differenzierungen und damit auch alle Trennungen, die unser Verstand in der Alltagswahrnehmung erzeugt. Es bleibt ein einheitliches dichtes Feld von SEIN, das alle Wahrnehmungen einschließt. Präsenz wird hier in einer umfassenden Dimension erfahren.“
Stiegler, Richard: Im Einklang leben, spirituelle Grundhaltung und Alltag, Freiburg 2016, S. 29-32