Weiße Quadratbilder mit farbigen Quadraten: 2006 bis 2017
Dieses Bild ist nicht durch ein konkretes Erlebnis angeregt worden. Ich war in einer sehr ausgeglichenen und freudigen Stimmung und wollte „komponieren“.
Wenn Sie mit den Augen über dieses Bild wandern, überträgt sich vielleicht diese Stimmung auf Sie.
Sie können – anders als beim Hören von Musik – immer neue eigene „Akkorde“ und in eigener Geschwindigkeit entstehen lassen. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes auf einer Augenweide, auf der sie sich frei bewegen können. Dabei wird Ihr Denken verlangsamt und kommt zur Ruhe. Sie kommen zur gedankenfreien Wahrnehmung, zur Kontemplation. Ein Zustand der hellen Wachheit. Sie sind ganz bei sich und dem Bilde.
Es kommt leichte Freude auf.
„Ich träume von einer Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe, ohne beunruhigende und sich aufdrängende Gegenstände, von einer Kunst, die für jeden Geistesarbeiter, für den Geschäftsmann so gut wie für den Literaten ein Beruhigungsmittel ist, eine Erholung für das Gehirn, so etwas wie ein guter Lehnstuhl, in dem man sich von physischen Anstrengungen erholen kann.“
Zitat von Matisse in: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, S. 100
Die Freude Mozarts spiegelt Zufriedenheit, und seine musikalische Phrase ist wie ein ruhiger Gedanke, ihre Einfachheit ist nur Reinheit, sie ist wie ein Kristall, alle Gefühlsregungen spielen darin, aber wie schon ins Überirdische versetzt.
ANDRÉ GIDE
Dieses Bild hat eine andere Stimmung als „Mozart I“.
Als Ausgangsintuition schwebten mir kleine gelbe Quadrate vor, die wie Lichter aus den von der Stimmung dunkleren Quadraten hervorkommen.
Wandern sie einfach mit den Augen über dieses Bild, – Ihre Augen sollten „musikalisch“ werden.
Vielleicht überträgt sich die Stimmung, die ich bei der Entstehung des Bildes hatte, auf Sie. Ich kann diese Stimmung allerdings nicht gut beschreiben.
Das Bild geht auf eine abendliche Erfahrung zurück. Ich hatte etwas Schwierigkeiten, das Bild so zu benennen. Was haben große violette und blaue Quadrate auf weißem Grund mit einem Orgasmus zu tun?
Wir haben zwei Tendenzen in uns: Wir möchten unbewusst zurück in die Einheit mit der Mutter und wir möchten bewusst sein und über uns hinauswachsen und in einer höheren Wirklichkeit aufgehen. Die regressive Tendenz, zur Mutter, lateinisch mater, Materia, ins Meer zurückzukehren, ist in der Farbe Blau ausgedrückt. Sie zieht uns an, aber wir fürchten uns auch davor, ähnlich wie es vielen Männern in Bezug auf Frauen geht. (87 % sollen Angst vor Frauen haben.) Die violette Farbe steht für das „Göttliche“. Es ist die Farbe des höchsten Chakra und eine wichtige liturgische Farbe. Hohe Geistliche in der katholischen Kirche tragen Violett. Auch in meinen Bildern ist Violett oft in diesem Sinne zu finden. Meistens in der oberen linken Ecke des Bildes, dem Bereich des Zur-Ruhe-Kommens im Jenseitigen. In diese Richtung führen auch die Quadrate auf meinem Bild. Das blaue geht von der rechten unteren Ecke des Bildes aus, dem Bereich des Entstehens und des Mütterlichen. Die beiden großen blauen Quadrate stehen in der Diagonalen von links unten nach rechts oben. Sie symbolisieren den Lebensweg. Kinder richten ihre Bilder meistens so aus. Oben rechts ist die Sonne. Diese Achse wird von dem großen violetten Quadrat unterbrochen und führt nach links oben.
Im Orgasmus kann man beides erleben und nur schwer aus einander halten. Er umspannt das „Materiellste“ und das Göttlichste.
Auf dem weißen Untergrund lassen sich beide Tendenzen vereinen und auseinander halten.
24. Februar 2003
Vor ein paar Tagen habe ich angefangen ein Quadratbild mit fallenden Herbstblättern zu machen. Angeregt war ich durch ein Gedicht von Rilke, dass mich an sein Herbstgedicht erinnerte: „Die Blätter fallen …“). Dabei könnte ich die aus dem Lote geratenen Quadrate benutzen. Ich bin aber nicht sicher, ob das was wird. Vielleicht wird es nur ein Bild mit bunten Herbstfarben, das Freude macht.
23. April 2003
Ich hatte eine ganze Zeit wieder nichts gemacht. Ein angefangenes Bild zum Thema, „Die Blätter fallen…..“ nach Rilkes beeindruckendem Gedicht hat mich blockiert. In meinem Bild mit schwarzem Quadrate zum Irakkrieg, auf dem die Quadrate herauf- oder heruntertaumeln – also nicht waagerecht liegen – hatte mich angeregt, die fallenden Blätter auch taumeln zu lassen. Aus irgendeinem Grund bin ich damit nicht zurande gekommen. Der Kampf gegen den Krieg hat mich sicher auch blockiert, zumindest zeitlich.
Der Begriff „Depression“ ist vielleicht etwas zu stark, wenn man bedenkt, was eine tatsächliche Depression für einen Depressionskranken bedeutet. Es geht um die Erfahrung, depressive Stimmung zu bekommen – eben am Rande von etwas Depressivem.
Ein großes graues Quadrat – Grau ist die Farbe der Lustlosigkeit und Depression -, ein kleineres schwarzes in der „Richtung der Zukunft“, nach rechts oben – die Farbe der Nacht und des Todes, und ein violettes kleines Quadrat in Richtung des zur Ruhekommens in der Meditation oder dem Jenseitigen – Violett als spirituelle Farbe.
Indem ich diese Quadrate auf weißem Grund – der Transzendenz – auf mich wirken lasse, kann ich vielleicht der Depression entgehen. Mein mich beobachtendes Selbstbewusstsein, das mit der transzendenten Wirklichkeit verbunden ist, kann ich evtl. aufrecht erhalten – auch durch die Energie des Violett – und ich kann verhindern, dass ich in die Depression hineinfalle.
Ohne das violette Quadrat, auch wenn es klein ist, würde das Bild hoffnungslos.
Es gibt ein Buch mit dem Titel: „Zen – Weg aus der Depression“.
Was der Hintergrund dieses Bildes ist, weiß ich nicht mehr. Ich nehme an, dass ich aus einer Stimmung heraus und vielleicht angeregt durch die Farbe Blau einfach komponiert habe. Die blauen Quadrate springen mit eine gewissen Frische aus den anderen Quadraten hervor und erzeugen eine Stimmung der Freude.
Die auslösende Idee oder der Anlass für dieses Bild ist mir nicht mehr bekannt. Da es einen Musiktitel hat, nehme ich an, dass ich einfach komponiert habe. Dazu ein Zitat:
„Die ganze Welt als einen großen symphonischen Klang verschiedenfarbiger Flächen zu sehen, ist zweifellos ein wunderschöner Traum – und eben dieser Traum ist die Wirklichkeit des Koloristen. Der erregende oder besänftigende tonale Wert gewisser tiefer, ruhige, gesättigter Farben ist allenfalls noch der ästhetischen Wirkung der Musik vergleichbar, und genau darum habe ich von einem symphonischen Klang der Farben gesprochen. Denn wie die Musik bringt auch die Farbe kein deutlich bestimmbares Gefühl, sondern einzig und allein grundlegende Empfindungen in ihrer Polarität zum Ausdruck: also nur reine Freude oder ihr genaues Gegenteil, nicht aber eine spezifische Freude oder eine spezifischen Schmerz.“ (aus: Longi, Roberto: Kurze, aber wahre Geschichte der italienischen Malerei, Köln 1996, S. 70f)
Wandern sie einfach mit den Augen auf dieser weißen Fläche wie auf einer Augenweide herum. Dabei sollte das Denken zur Ruhe kommen und sie in einen frohen gedankenfreien Zustand bringen.
Der Titel kann bedeuten, dass ich das Bild drei Tage nach einem Seminar über C. D. Friedrich gemacht habe, aber auch, dass wir nicht mehr als drei Tage von C. D. Friedrich entfernt sind. Wahre Kunst ist zeitlos. Auch heutige Menschen sind auf der Suche nach dem Göttlichen, das die Romantiker nicht mehr in den Kirchen, sondern in der Natur gesucht haben.
C. D. Friederich suchte das Göttliche vor allem im Erhabenen der Naturerscheinungen: das weite Meer, die wilde Landschaft, der romantische Sonnenuntergang oder die Mondnacht. Auf einigen Bildern steht der kleine Mensch vor der Erhabenheit der übermächtigen Natur, wie bei dem Bild „Der Mönch am Meer“. Diese Erfahrung ist in meinem Bilde mit ganz einfachen Mitteln wiedergegeben und nacherlebbar.
Auf meinem Bild sieht man auf der großen weißen Fläche nur das kleine grüne Quadrat in der unteren linken Ecke. Von einigen Betrachtern wurde das Bild spontan mit dem Bild „Der Mönch am Meer“ von C. D. Friedrich identifiziert. Das war von mir so zwar nicht beabsichtigt, aber es trifft das gut, was ich darstellen wollte. Ich habe dem Bild daher auch noch den Untertitel „Der Mönch am Meer“ gegeben.
Das kleine grüne Quadrat am unteren linken Rande ist geöffnet zur übermächtigen weißen Fläche. Anders als bei C. D. Friedrichs Mönch, bei dem die Gemütslage offenbleibt, ist hier durch die hoffnungsfrohe ruhige grüne Farbe die erschreckende Erhabenheit aufgefangen worden. Das kleine grüne Quadrat hat etwas Beruhigendes. Es hält die große weiße Fläche gut aus. In der Durchdringung auf das Transzendent-Göttliche hin verliert das Erhabene seinen Schrecken.
Ich habe das Bild nach einem Seminar über Caspar David Friedrich gemacht. Auf dem Bild mit dem obrigen Titel steht ein schwarz gekleideter Mann groß und unerschrocken vor einer Felsenlandschaft, die in Nebel gehüllt ist. Ein Bild voller Kraft. Die kleinen grünen Quadrate deuten auf die innere Ruhe hin, die dem Mann die Kraft geben.
Der Titel geht auf den gleichnamigen Roman von Pearl S. Buck zurück. Sie beschreibt darin die alte chinesische Agrargesellschaft in ihrer Abhängigkeit von der Landwirtschaft.
Das Bild geht auf eine Erfahrung zurück, die ich etwa vor 50 Jahren gemacht habe, als ich im Internat am Niederrhein war. Im Mai fand jeden Abend eine Maiandacht statt. An einem sonnigen Abend stand ich in der Kirche am offenen Fenster. Draußen schien die Sonne in die weiß und rosa blühenden Kirschbäume und wir sangen den Choral „Regina coeli, laetare, alleluja. Quia, quem meruisti portare, alleluja, resurexit, sicut dixit, alleluja, ora pro nobis Deum, alleluja. (Königin des Himmels, freue dich, weil der, den du zu tragen würdig warst, auferstanden ist, wie er gesagt hat.) Das ist eine wunderbarer Choral. Jubel und stille Freude liegen darin. Dieser Jubel und diese Freude verbanden sich mit der Blütenpracht der Kirschbäume und einem wunderschönen Frühlingsabend und ich wurde von einem stillen und jubelnden Glücksgefühl überflutet, das sich in dem Choral ausdrücken konnte. Das war eine Erfahrung, die ich bis heute nicht vergessen habe. (Ich trage diesen Choral manchmal vor, wenn ich mit anderen eine Kirche besuche, in dem sonst niemand ist. So z. B. bei einem Besuch mit meiner Bezirksarbeitsgemeinschaft der Religionslehrerinnen und Religionslehrer im Kloster Eberfach. Das macht Einruck!)Die Idee, diese Erfahrung in ein Bild umzusetzen, kam mir auf unserer Reise im Mai durch Portugal und Spanien. Die Ausführung gestaltete sich aber viel schwieriger, als ich gedacht hatte. Endlich ist es so, dass ich zufrieden damit bin. Den schwierigen Vorgang zu beschreiben, will ich mir ersparen. Der Durchbruch kam gestern Abend, als wir von Verwandtenbesuchen zurückkamen. (22.6.09) Dazu doch noch eine Bemerkung zur Entstehung.
Wichtig für die ganze Stimmung war für mich von Anfang an das Rosa. Mit einem großen rosa Quadrat in der Mitte des unteren Randes hatte ich angefangen und war bei rosa Quadraten in allen vier Ecken gelandet. Solche vier rosa Quadrate stellen auf einem meiner Quadratbilder „Samadhi“ dar, den gedankenfreien glücklichen Zustand in der Kontemplation. Das schien mir deshalb für dieses Bild denn auch zu passen. Das rosa Quadrat in der oberen rechten Ecke schien mir aber noch nicht an der richtigen Stelle zu sein. Ich kratze es mit einer Rasierklinge ab und stelle fest, dass das Bild ohne dieses Quadrat außerordentlich viel besser war. Es wurde plötzlich offen und weit. Ich habe dann noch ein kleineres blaues Quadrat hinzugefügt und war glücklich. Die Spur der blauen Quadrate führt nun von der untern rechten Ecke über die linke Seite in die Offenheit der rechten oberen Quadranten. Das Bild wird sozusagen zukunftsoffen.
Ich habe mich im Herbst 2008 mit Leben und Werk Mondrians zur Vorbereitung auf ein Meditationsseminar beschäftigt. Bei einem frühen Landschaftsbild war ich von den Farben Rosa und Blau fasziniert. Das führte dann im Februar 2009 zu diesem Bild. Zwei blauen Quadraten steht ein rosa Quadrat gegenüber. Ich habe festgestellt, dass farbige Quadrate trotz ihrer Gleichförmigkeit mir wie Individuen mit einer eigenen Ausstrahlung vorkommen. So tritt hier das rosa Quadrat mit den beiden blauen Quadraten in Beziehung, sie „sprechen“ miteinander. Sie stehen so auf der Fläche, dass sie wie gleichgewichtige Partner erscheinen, kräftig und in sich ruhend. Diese Ruhe und Kraft kann mit einer bestimmten Stimmung auf den Betrachter überspringen. Ich habe dann noch drei weitere Bilder in dieser Form mit anderen Farben gemacht: Violett spricht mit Orange, Braun mit Grün und Dunkelbraun, fast Schwarz, mit Rot.
19. Januar 2010
Ich bin seit Wochen voll mit meinem Eckhart-Seminar beschäftigt, das vom 29. bis 31. stattfinden soll. Heute Abend ist mein Kopf etwas überanstrengt und ich habe mich meinen Bildern zugewandt. Das letzte, was ich gemacht habe, hat noch keinen Namen. Es ist am 4.1.10 fertig gestellt worden. Es geht auf ein Konzert mit der Jazz-Sängerin Lyambiko im Dezember zurück. Ich saß in der ersten Reihe im Pädagogischen Zentrum der Gesamtschule in Kierspe. Ich fand den Gesang an einigen Stellen sehr meditativ. An einer Stelle kam eine starke Sehnsucht auf nach Jenseitigem. Der Gesang war mir aber nicht klar genug, dieses Gefühl wieder zu geben. In dieser Situation tauchte das Bild in meiner Intuition auf: Ein weißes Rahmenbild mit nur einigen kleinen blauen Quadraten auf der weißen Fläche am rechten Rand. Einfach übereinander von unten nach oben oder umgekehrt. Heute habe ich nach einem Titel gesucht und es einfach „Sehnsucht nach Transzendenz genannt“.
Das Bild besteht nur aus einem Schwarm gleichgroßer farbiger Quadrate in der Mitte der Fläche. Eine bestimmte Ordnung ist nicht zu erkennen. Dieses Bild ist so simpel, dass ich es erst fast nicht akzeptieren konnte. Als ich es in der Wohnung aufgehängt habe, stellte ich plötzlich fest, dass es mich tatsächlich entspannte und mich froh machte. Man kann in dem engen Blickkreis bleiben und die Augen wandern lasse. Die Gedanken werden dann abgezogen. Man entspannt sich und es kommt Freude auf. Was will man mehr?
Der Titel stammt aus einem Artikel von Ingried Riedel zur Spiritualität von C.G. Jung. Aus diesem Artikel möchte ich als Zugang zum Bild einige Abschnitte zitieren:
„Mit der Erkenntnis des Schattens, des Dunklen in uns selbst, beginnt die Individuation und auch die Therapie. Jung hat bekanntlich zur therapeutischen Verwandlung der Schwärze in Gold, ins Gold der Individuation, eine Parallele gefunden, die er mit Faszination und spiritueller Achtsamkeit und Ehrfurcht erforschte: die Alchemie! Ein paar Bemerkungen dazu aus einem Interview mit Jung: ‚Das alchemistische Opus magnum hatte sowohl zum Ziel, die Seele des Menschen zu erlösen, als auch den Kosmos zu heilen, ganz zu machen. Was die Alchemisten >Materie< nennen, ist zugleich ihr eigenes Seelenleben (ihr eigenes Stück Natur). Nun ging es darum, diese Materie zu erlösen, zu retten, zu wandeln von der Schwärze zu Gold. Das ist nicht einfach. Gleich zu Beginn begegnet man dem Drachen, dem chthonischen Geist, der Schwärze. Die Materie leidet so lange, die in ihr gefangene Weisheit der Weltseele leidet so lange, bis die Schwärze sich endlich auflöst.’ (36)
Jung überträgt die alchimistischen Vorstellungen ins Psychologische:
‚Psychologisch gesehen befindet sich die Seele im Kampf mit der Melancholie, der Depression [oder auch der Schuld, I. R.), sie ringt mit dem Schatten. Das Mysterium der Alchemie zielt nun gerade auf die Synthese der Gegensätze hin, auf die Assimilation der Schwärze, indem man sie ins Bewusstsein hebt: So nähert man sich der Vollständigkeit des Menschen, zu dem auch seine dunkle Seite gehört. Dadurch gewinnt er eine neue Qualität: Ganzheit!’ (37)
Ich mache die Erfahrung, dass dieses Bild mich in die Stille zieht. Daher der Titel.
Vielleicht geht es anderen Beschauern auch so. Sie müssen nur ganz offen sein und die Komposition auf sich wirken lassen.
Es kann sein, dass die Wirkung dadurch entsteht, dass durch die von unten nach oben auseinanderlaufenden Quadrate ein „Sehen-in-den-Zwischenraum“ entsteht, das zur Gedankenfreiheit führt.
Ich habe schon ein ähnliches Bild gemacht mit dem Titel: „Die gute Erde“. Das große Quadrat ist auf diesem Bild braun.
Geht es da um die Fruchtbarkeit der konkreten Erde durch die Grünkraft, so hier um die Herkunft aus dem Göttlichen, das durch das Gold symbolisiert ist.
Zur „Grünkraft“ hat Hildegard von Bingen interessante Vorstellungen entwickelt. Ich drucke einige Ausschnitte aus einem Buch von Ingrid Riedel dazu ab:
„Hildegards Sicht der Natur ist vor allem dadurch auszeichnet, dass sie den ganzen Makrokosmos und damit auch den Mikrokosmos des menschlichen Organismus von einer einheitlichen Kraft durchwirkt sieht. Allein darin ist sie genial. Sie erkennt die Wirksamkeit einer einheitlichen Energie im menschlichen Körper wie im gesamten Kosmos, eine einzigartige Vorstellung Hildegards in jener Zeit, die wir nirgendwo vorher und nachher finden: es ist die Energie der nobilissima viriditas, der »alleredelsten Grünheit«, die Farbenergie der Hoffnung, die sowohl die Natur wie auch das Vegetativum des menschlichen Körpers durchwirkt. Dieses alleredelste Grün ist in der Pflanze, im Blattgrün, im Chlorophyll, aber ebenso im menschlichen Körper vorzustellen, vor allem auch in der menschlichen Seele.
Viriditas ist eine symbolische Hoffnungskraft, eine Wachstumskraft überhaupt: das heilige Grün! Diese alleredelste Grünheit hat sie in einer ihrer schönsten Hymnen beschrieben, mit folgenden Worten:
Oh edelstes Grün das wurzelt in der Sonne und leuchtet in klarer Heiterkeit im Rund eines kreisenden Rades das die Herrlichkeit des Irdischen nicht fasst umarmt von der Herzkraft himmlischer Geheimnisse rötest du wie das Morgenlicht und flammst wie der Sonne Glut du Grün bis umschlossen von Liebe.
Hildegard von Bingen
Malen wir uns die Bilder, die sie für das Grün findet, noch einmal aus. Als das Grün von der Herzkraft himmlischer Geheimnisse umarmt wird, da erglüht es, da errötet es, da wandelt es sich in die Komplementärfarbe und Komplementärkraft des Rot. Mit den beiden Farben Rot und Grün und deren Energetik arbeitet Hildegard immer wieder. Das Rot ist ihr so nahe wie das Grün, es ist für sie der Feueratem Gottes, die flammende Liebe, die für sie vor allem von der Gestalt Christi ausstrahlt.
Doch auch das Grün gewinnt in einer ihrer Visionen Gestalt, gleichsam göttliche Gestalt.“ Es erscheint als eine Frauengestalt in einem grünen Seidenmantel, die das Rad des Kosmos von innen her erfüllt. Die Frauengestalt hält dieses kosmische Rad nicht von außen in der Hand, lässt es nicht von außen laufen, sondern sie erfüllt dieses Rad, das für sie zugleich der kosmische Kreis ist, von innen. Für Hildegard ist diese Frau die Verkörperung der Grünkraft, ist »Frau Weisheit«, ist Sophia.“
„Ein bedeutender Teil ihrer Schriften ist therapeutischen Themen gewidmet. Ihr bedeutendstes therapeutisches Thema aber scheint mir das von der göttlichen Grünkraft, der nobilissima viriditas zu sein, die alles durchwirkt und alles verbindet, wie sich in der Farbenergie des Grün bereits die Lichtkraft des Himmels, das Goldgelb der Sonne, mit der Tiefe des Irdischen, dem Blau des Wassers, verbindet. Heilung besteht bei Hildegard im Wiederanschluss des abgesonderten Menschen an seine göttliche Quelle, das Grün.“
„Als Mumon Yamada Roshi, der ehemalige Abt der Hanazono Myoshinji Sekte, noch Student an der Waseda Universität war, erkrankte er an Tuberkulose. Der Arzt sagte zu ihm, »Sie sind unheilbar krank, es gibt keine Behandlungsmethode für Sie. Wahrscheinlich haben Sie höchstens noch einige Monate zu leben.«
Weil er nicht mehr im Krankenhaus bleiben durfte, ging er in sein Heimatdorf zurück und wollte die letzte ihm verbliebene Zeit seines Lebens genießen. Zufällig war es ein Frühlingstag. Er sah den Garten mit seinem jungen Grün, auf den die Sonne warm schien, die Vögel zwitscherten, und die frischen grünen Blätter strahlten in der Sonne. Da wurde er plötzlich von dem frischen Grün so berührt, dass er unmittelbar von der Vitalbewegung des naturgemäßen Lebens ergriffen wurde und er erkannte, dass das Leben auch in seinem Körper ständig floss. Als der junge Yamada das verstanden hatte, kam wirklich eine große Freude über ihn.
Kaum hatte er die Vitalität des naturgemäßen Lebens in sich entdeckt, durchströmte die Lebenskraft seinen ganzen Körper.
Von diesem Tag an begann der Kranke, dem man nur noch kurze Zeit zu leben gegeben hatte, zu genesen, und die Tuberkulose heilte aus. Wenn man erfahren hat, dass man den Ursprung des Lebens in sich selbst hat und dass das ursprüngliche Leben die Natur und das eigene Leben begründet, wird eine Krankheit oft vom Leben selbst geheilt. Jeder von uns hat nämlich diese Kraft. Wenn man also mit den selbstbewussten Augen des Einsehens die Welt betrachtet, kann man erkennen, dass das Leben voller Energie ist.“
Kadowaki, Kakichi: In der Mitte des Körpers, München 1994, S. 104 f
Mitte Januar habe ich ein neues Bild angefangen. Ich hatte mich entschlossen, endlich wieder Bilder herzustellen, auch wenn ich nicht so richtig sah, in welche Richtung. Es gab einige Ansätze, die aber noch nicht überzeugend sind.
Ich habe auf meiner Homepage ja gesagt, dass ich „nun ganz frei“ bin in Bezug auf meine Quadratbilder. Meine wichtigsten Quadratbilder sind mir ja die weißen mit farbigen Quadraten. Also habe ich mich entschlossen, mit einem solchen Bild zu beginnen.
Da ich in den letzten Wochen ein Buch über das Märchen „Eisenhans“ von Rober Bly gelesen habe, das noch von Marcel herumlag und Marcel mir nun eine Buch über „Initiation in das wahre männliche Selbst durch kraftvolle Archetypen geschenkt hat“ mit dem Titel: „Könige, Krieger, Magier, Liebhaber“, dachte ich, mich vielleicht auf diese Problematik zu beziehen. Der Archetyp des Königs ist sehr eindrucksvoll. Aber eine Intuition zu diesem Thema wollte nicht kommen und aus Überlegungen kann man keine Bild machen. So habe ich mich entschlossen, einfach zu komponieren und mich um nichts zu kümmern. Ich empfand das als grundsätzlich das Beste, weil dann der Verstand weitgehend ausgeschaltet ist und eine solche Ausrichtung auch am besten zu der Ausrichtung auf Transzendenz passt. Es ist ein ganz freies Schaffen.
Nachdem ich nun Farbquadrate zusammengestellt und aussortiert und damit komponiert habe, stelle ich fest, dass ich genau das Thema getroffen habe, das mir ursprünglich vorschwebte. Das ist mehr als eigenartig. Ich hatte ja eigentlich das Thema fallen lassen.
Das Bild „Archetyp des Königs“ habe ich am 20. Januar 2017 beendet.
Ich will nun heute (3. April) einen Interpretationsversuch zum Bild „Archetyp des Königs“ versuchen:
In der rechten unteren Ecke des Bildes – dem Bereich der Herkunft, der Geburt, der Mutter ist das zweitgrößte Quadrat des Bildes. Es ist blau, blau für das „Weibliche“. Das kleine goldene Quadrat schräg an der oberen Ecke des blauen stellt den goldenen Knaben, den puer aeternus, das göttliche Kind dar. Dieses Kind entwickelt sich weiter nach rechts oben – der Lebensrichtung – und wird zu einem größeren goldenen Quadrat. Am weißen Rahmen kommt es allerdings an eine Grenze. Es muss sich, bevor es sich weiterentwickeln kann, erst im realen Leben bewähren. Im Märchen „Der Eisenhans“ muss der Königssohn als Küchenhilfe und Gärtnerjunge arbeiten. Die nach rechts oben aufsteigende Reihe der braunen Quadrate stellt das dar. Hier besteht durchaus die Gefahr, dass der Königssohn sich einfach im Getriebe des täglichen Lebens verliert und als Königssohn verschwindet. Aber schon das erste größere braune Quadrat hat einen Bezug zu den beiden blauen Quadraten links davon, von denen es angezogen wird. Sein Weg geht aber weiter. Das nächste größere braune Quadrat ist auf ein größeres blaues Quadrat bezogen, diesmal aber vermittelt durch ein kleines Rotes, das für die (erotischen) Liebe stehen kann. Im Märchen könnte das mit der Königstochter zusammenhängen, die den Königssohn an seinem goldenen Haaren erkannt hat und von ihm angezogen wird und vielleicht auch ihn anzieht. Seine Laufbahn geht aber zunächst mal weiter, wenn auch abgeschwächt – die braunen Quadrate werden kleiner. Wieder von einem kleinen roten Quadrat vermittelt kann er nun den Schritt zum ursprünglichen „Mütterlichen-Weiblichen“ zurückgehen und daraus hervor zum König werden. Das große goldene Quadrat, das größte Quadrat auf dem Bilde, überstrahlt nun aus dem linken oberen Quadranten – dem Bereich des in der Vollendung (im göttlichen) „Zur-Ruhe-Kommens“ – das ganze Bild. Der Gegenpol dazu ist das große blaue Quadrat in der linken unteren Ecke. Das Bild stellt den Weg der Selbstwerdung dar.
Anfang des Jahres habe ich ein Bild mit dem Titel „Der Archetyp des Königs“ gemacht. Das neue Bild am Ende des Jahres trägt den Titel: „Das göttliche Kind“.
Auch „Das göttliche Kind“ ist ein Archetyp.
Archetypten eigenen sich vielleicht besonders, den einzelnen Menschen anzusprechen und zu faszinieren. Sie führen unmittelbar in die Tiefe. Daher eigenen sie sich auch besonders gut dazu, im weißen Rahmen zu bleiben und auf der weißen Fläche zu verweilen, um dann zu einem gedankenfreien Zustand zu kommen, in dem das eigentliche Selbst erreichbar wird.
Beim Bild „Der Archetyp des Königs“ kann man – wenn man will, man kann es auch einfach auf sich wirken lassen – den Weg des „Goldenen Knaben“ auf dem Weg zum Königtum interpretieren. Das neue Bild ist statischer. Das göttliche Kind wird in seiner klaren unangefochtenen Form als großes goldenes Quadrat in der Mitte des Bildes gezeigt. Es zeigt aber von diesem goldenen Mittelpunkt aus Bezüge der Entwicklung, die in ihm angelegt sind. Es ist noch ganz offen und fragil. Es ist noch gefährdet (s. Text unten), was im Bilde aber nicht gezeigt wird.
Der erste Blick geht sicher zum goldenen Quadrat. Der zweite vielleicht zu den roten, die aus dem rechten unteren Quadranten der Herkunft kommen und auf das goldene Quadrat führen. Das göttliche Kind kommt aus einer von Liebe bestimmten Wirklichkeit. Das „Mütterliche“ in Form des blauen Quadrates an der rechten Seite begleitet es und an der linken Seite ist im violetten Quadrat schon der Bezug zum eigentlichen Ziel, dem Göttlichen im oberen linken Quadranten sichtbar. Aber auch das blaue Quadrat kann schon auf das violette im Oberen rechten Quadranten hinweisen. Blau symbolisiert ja nicht nur das Mütterliche, sondern auch eine Sehnsucht nach Erlösung.
Man kann auch vom rechen unteren Quadranten auch gleich in einer Diagonalen zum oberen linken gehen.
In der Diagonalen vom linken unteren Quadranten zum rechten oberen ist der Lebensweg in den grünen Quadraten dargestellt. Wenn alles im Sinne des Archetypen gut läuft, ist er unproblematisch. Von diesem Lebensweg aus kann dann durch die Anregung des oberen blauen Quadrats –– über die Vermittlung des kleinen blauen Quadrats das Ziel erreicht werden. Die beiden kleinen orangen Quadrate können Lebensfreude und Sinnlichkeit symbolisieren.
Wem diese Anregungen zu abenteuerlich sind, kann das Bild auch einfach auf sich wirken lassen, vielleicht indem er mit den Augen über die Quadrate wandert und eigene Akkorde herstellt und auf dies Weise zu heiterer Gedankenfreiheit kommt.
Das Göttliche Kind
„Die erste, die archaischste der unreifen männlichen Energie, ist das Göttliche Kind Wir alle kennen die Geschichte von der Geburt des Kindes Jesu. Das Kind ist ein Mysterium. Es kommt aus der göttlichen Sphäre, geboren von einer Jungfrau. Wunderbare Dinge und Ereignisse umgeben es: der Stern, die betenden Schafhirten, die drei Weisen aus dem Morgenland. Umringt von den Betenden nimmt es nicht nur im Stall, sondern im ganzen Universum den Mittelpunkt ein. In beliebten Weihnachtsliedern kümmern sich sogar die Tiere um das Kind. Auf den Bildern strahlt es ein Leuchten aus, im Heiligenschein des weichen, glitzernden Strohs, auf dem es liegt. Weil es Gott ist, ist es allmächtig. Gleichzeitig ist es völlig hilflos und verletzlich. Kaum geboren lässt König Herodes nach ihm forschen und will es töten. Es braucht Schutz und verschwindet nach Ägypten, bis es stark genug ist, sein Lebenswerk aufzunehmen, und die Kräfte, die es zerstören wollen, sich erschöpft haben.
Viele wissen nicht, dass dieser Mythos nicht der einzige seiner Art ist. Die Religionen der Welt kennen viele Geschichten vom wundertätigen Kind. Die christliche Version verdankt ihr Gepräge teilweise der Geschichte von der Geburt des großen persischen Propheten Zoroaster, inklusive der Wunder der Natur, den Weisen und den Bedrohungen seines Lebens. Im Judentum gibt es die Geschichte vom Kind Moses: Moses wird geboren als Erlöser seines Volkes, als großer Lehrer und Vermittler zwischen Gott und den Menschen und wächst auf als ägyptischer Prinz. Ein Edikt des Pharao bedrohte jedoch sein Leben in den ersten Lebenstagen. Als hilf- und schutzlos preisgegebenes Kind legte man ihn in einen Schilfkorb und übergab ihn dem Nil. Vorbild dieser Geschichte ist die noch weit ältere Legende von der Kindheit-des großen mesopotamischen Königs Sargon von Akkad. Und aus aller Welt hören wir von Legenden um die wundersame Kindheit von Buddha, Krishna und Dionysos.
Noch weniger bekannt ist, dass die Figur des Göttlichen Kindes, in unseren Religionen allgegenwärtig, auch in uns selbst allgegenwärtig ist. Träume von Männern in der Psychoanalyse machen es deutlich: Besonders in Zeiten der Besserung träumen sie oft von einem männlichen Baby, das den Traum mit Freude und Licht, mit einem Gefühl von Staunen und Frische erfüllt. Ebenso oft passiert es in der Therapie, dass Männer auf dem Wege der Besserung den Wunsch nach Kindern verspüren, manchmal zum ersten Mal in ihrem Leben.
Diese Geschehnisse signalisieren, dass etwas Neues und Schöpferisches, Frisches und »Unschuldiges« in dem Mann geboren wird. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Schöpferische Elemente, die im Unbewussten verharrten, drängen nach oben ins Bewusstsein. Er verspürt neue Lebenskraft. Wenn sich das Göttliche Kind in uns regt, folgt jedoch ausnahmslos der innere wie äußere Angriff des Herodes auf dem Fuße. Neues Leben, auch neues seelisches Leben, ist stets fragil. Wenn wir diese neue Kraft in uns verspüren, müssen wir für ihren Schutz sorgen, weil man sie antasten wird. Ein Mann sagt in der Therapie vielleicht: »Es geht mir offenbar wirklich besser!« Und sofort ertönt eine innere Stimme: »Wohl kaum. Du weißt, mit dir wird es niemals aufwärtsgehen.« Spätestens dann wird es Zeit, das verwundbare Göttliche Kind nach »Ägypten« zu schaffen.
Wenden wir uns wieder dem Motiv der anbetenden Tiere und der Verkündigung des Friedens auf Erden durch die Engel in der Weihnachtsgeschichte zu. Im griechischen Orpheus-Mythos erkennen wir das Göttliche Kind als die archetypische Kraft, die die gereifte maskuline Energie des Königs vorformt. Der Mann-Gott Orpheus sitzt im Mittelpunkt der Welt, spielt auf der Leier und singt ein Lied, das alle Tiere des Waldes anlockt. Jäger und Gejagte, das Lied ruft sie alle herbei. In vollkommener Eintracht versammeln sie sich um Orpheus, alle Disharmonie ausgeräumt, alle Gegensätze vereint in einer die Welt transzendierenden Ordnung (eine klassische Aufgabe des Königs, wie wir noch sehen werden).
Das Motiv des Göttlichen Kindes jedoch, dass der ganzen Welt, auch dem Tierreich (Tiere repräsentieren auf innerer Ebene unsere eigenen, oft widerstreitenden Gefühle und Regungen), Ordnung und Frieden bringt, findet sich nicht nur in Mythen aus alter Zeit. Ein junger Mann, der am Anfang der Analyse stand, erzählte uns von einer ungewöhnlichen Begebenheit in seiner Kindheit. Eines Tages, er ist damals etwa fünf oder sechs Jahre alt, geht er in den Hinterhof und empfindet eine starke Sehnsucht. Er ist noch zu jung, um zu erkennen, wonach es ihn verlangt, doch später im Leben denkt er darüber nach und begreift, dass er sich nach innerem Frieden und Harmonie, nach einem Gefühl des Einsseins mit allen Dingen gesehnt hatte. Er lehnt sich mit dem Rücken an eine gewaltige Eiche, die im Hof wächst, und beginnt ein Lied zu singen, das er sich im Singen ausdenkt. Es übt eine hypnotische Wirkung auf ihn aus. Er singt von seiner Trauer. Und er singt von einer Art stiller, tiefempfundener Freude. Er singt ein Lied des Mitgefühls mit allen lebendigen Wesen, eine Art Wiegenlied, trostreich für ihn selbst und andere (ein Lied für das Göttliche Kind). Nach kurzer Zeit bemerkt er, wie sich Vögel im Baum niederlassen, immer ein paar Tiere gleichzeitig. Er singt weiter und im Singen kommen immer mehr Vögel, kreisen und schweben um den Baum, bevor sie sich niederlassen. Schließlich ist der Baum voller Vögel, voller Vogelleben. Der Junge hat das Gefühl, dass die Schönheit und das Mitgefühl seines Liedes sie angelockt haben. Ihr Kommen bestätigt seine Schönheit und antwortet auf seine Sehnsucht. Der Baum wurde zum Baum des Lebens, und durch diese Bestätigung seines inneren Göttlichen Kindes gestärkt, konnte er weiter durchs Leben gehen.
Der Archetyp des Göttlichen Kindes – in unseren Mythen als Orpheus, Christus, Moses und in verschiedener Gestalt in den Mythen vieler Religionen, in den Träumen von Männern in der Therapie und in den Alltagserfahrungen von Jungen auftauchend – ist offenbar in uns allen »fest verdrahtet«. Er existiert von Geburt an. Er trägt viele Namen und die verschiedenen psychologischen Richtungen beurteilen ihn unterschiedlich. In der Regel wird er von den Psychologen verfemt, die versuchen, ihre Klienten letztlich von ihm abzuspalten. Wichtig ist die Einsicht, dass das Göttliche Kind als eines der Grundmuster unfertiger Männlichkeit in uns eingebettet ist.
Freud gab ihm den Namen Id, das »Es«. Er setzte es mit den primitiven, den infantilen Trieben gleich – amoralisch, gewalttätig und voll gottähnlicher Anmaßung, die grundlegende Triebkraft der unpersönlichen Natur, ausschließlich befasst mit der Befriedigung der grenzenlosen Bedürfnisse des Kindes.
Der Psychologe Alfred Adler sprach vom »Machttrieb« in uns, vom verborgenen Überlegenheitskomplex, der unser eigentliches Gefühl von Verletzlichkeit, Schwäche und Minderwertigkeit zudecken soll. (Denken Sie daran, das Göttliche Kind ist sowohl allmächtig, der Mittelpunkt der Welt wie gleichzeitig völlig hilflos und schwach. Tatsächlich erleben Kleinkinder so die Welt.)
Die Jungianer sind überzeugt, dass das Göttliche Kind ein zentraler Aspekt des Archetypischen Selbst ist – mit großem »S«, weil es sich vom Ich unterscheidet, vom Selbst mit kleinem »s«. In den Augen der Jungianer ist das Göttliche Kind in uns die Quelle des Lebens. Es besitzt magische, kraftspendende Eigenschaften. Der Kontakt mit ihm bringt ein überwältigendes Gefühl von Wohlbefinden, Lebensmut, bringt wie für den Jungen unter der Eiche großen Frieden und Freude.“
Moor, Robel, Gillette, Douglas: König, Krieger, Magier, Liebhaber, Hamburg 2014, S. 34-38
Das Bild mit einem großen blauen Quadrat und darunter ein goldenes kleineres tauchte in meinem Bewusstsein auf und gefiel mir gleich. Es ist zwar sehr einfach, aber klar und es berührt mich angenehm.
Bei der Deutung und Titelgebung hatte ich dann große Schwierigkeiten. Mein erster Einfall Mutter und Sohn oder Mutter und Kind schien mir irgendwie nicht angemessen. Er schien mir zu eng geführt und der Mutter-Problematik, die ich auf jeden Fall mit dem Bild verband, nicht angemessen. Ich habe vor einigen Jahren das Buch „Jokastes Kinder“ von Christiane Olivier gelesen und hatte selbst mit meiner Mutterbeziehung große Probleme. Olivier Buch hat den Untertitel „Die Psyche der Frau im Schatten der Mutter“. Es geht aber auch um die Problematik des Ödipuskomplexes nach Freud bei Jungen. So viel ich mich erinnere, kritisiert sie Freud und bringt die Probleme in der Entwicklung von Jungen auch mit der Mutter in Bezug, zumal in der modernen Gesellschaft die Männer in der Familie weitgehend ausgefallen sind.
Auch ich habe meinen Vater kaum kennen gelernt, weil er im 2. Weltkrieg vermisst ist. Zudem spielt die Frau als Große Mutter und als Göttin in der Stammesgeschichte der Menschen eine große Rolle und als wirkmächtiger Archetyp (C. G. Jung) in der psychischen Entwicklung jedes Menschen. Die Mutter wird als gebärend und nährend, aber auch als verschlingend erfahren.
Die gelingende Mutter-Kind-Beziehung hat große Bedeutung für die Selbstwerdung des einzelnen Menschen. Die wiederum ist eine wichtige Voraussetzung für den Transzendenz-Bezug.
Mein Bild zeigt die unproblematische Mutter-Kind-Beziehung. Die goldene Farbe kann für die gelungene Selbstwerdung stehen. Das entspricht der Intention meiner Bilder. Indem der Betrachter diese gelungene Konstellation von Mutter und Kind anschaut und auf sich wirken lässt, kann er sich öffnen und das Bild kann ihn verwandeln.
Am 28. April 2018 habe ich ein neues Bild abgeschlossen. Es sollte eine ganz einfache Komposition sein, die zur Kontemplation anreizt. Ich habe daher nur 2er Quadrate eingesetzt und einige Grundfarben. Als ich es fertig hatte, wollte ich dem Bild einen Namen geben, denn einfach Komposition Nr. … mach es von anderen Kompositionen nicht besonders unterscheidbar. Zudem kam mir diese Komposition besonders klar und unmittelbar ansprechend vor. Mir fiel dann spontan die Musik von J. S. Bach ein und so habe ich es dann „Zu Ehren von J. S. Bach“ genannt. Diese Namensgebung erwies sich dann als wohl zutreffend. Ein befreundeter Klavierlehrer und Pianist, dem ich vor ein paar Tagen das Bild zeigte und ihm sagte ich hätte es nach einem bekannten deutschen Komponisten benannt, antwortet wie aus der Pistole geschossen: J. S. Bach.