Weiße Quadratbilder mit farbigen Quadraten (Theorie)
1987 begann ich mich intensiver mit dem Zen-Buddhismus zu beschäftigen und nahm die Praxis der Kontemplation wieder verstärkt auf. Parallel lief eine Ausbildung zum Meditationsleiter im Europäischen Zentrum für Meditation und Kommunikation in Neumühle, Saarland. Damals habe ich schon einige weiße Quadratbilder gemacht, weil ich das Bedürfnis hatte, Bilder zu malen, wie Mozart Musik gemacht hat. Ganz reine Bilder, was auch immer das bedeuten sollte. Ich gab dementsprechend den beiden Bildern, die davon erhalten geblieben sind, auch musikalische Namen: „Dur“ und „Moll“. Sie gefielen mir sehr gut, aber ich war damals noch nicht so weit, die Reichweite dieser Bilder einzuschätzen und später wurden dann meine „Weißen Quadratbilder“ zu den Bildern, die mir am wichtigsten sind. Daher habe ich auch Verständnis, wenn es dem heutigen Betrachter meiner Bilder ebenso ergeht. Und wenn ich möchte, dass auch er sie schätzt, muss ich ihn dabei unterstützen.
Zum Umgang mit meinen weißen Quadratbildern
Man sieht nur einen weißen Rahmen, eine weiße Fläche und farbige Quadrate. Die Quadrate sind meistens parallel zum Rahmen angeordnet. Mit einem Blick können sie das ganze Bild überschauen. Da ist nichts Spektakuläres oder Geheimnisvolles. Eher der Eindruck: „Was soll’s, eine schöne Dekoration!“.
Die meisten Menschen sind gewohnt, in einem Bild etwas mehr oder weniger Gegenständliches zu erkennen, etwas zu suchen, darüber nachzudenken und evtl. einen Bezug zum Künstler und seiner Lebenssituation herzustellen.
Bei meinen Quadratbildern können Sie wenig hineindenken. Im Gegenteil: Das Denken soll zur Ruhe kommen.
Ich muss also um Verständnis für diese Art von Bildern werben und für den Zugang Hilfestellung anbieten.
Ziel der Meditation ist, den Geist von Gedanken zu befreien, die das Bewusstsein verwirren. Dieser chinesische Holzschnitt (13. Jahrhundert) zeigt Sima Chengzhen, einen Meister aus dem 8. Jahrhundert.
Hope, Jane, Die geheime Sprache der Seel, München 1998, S. 27
Der weiße Rahmen
Der weiße Rahmen ist die Aufforderung, eine kontemplative Haltung einzunehmen, d.h. sich zurück zu nehmen, sich zu öffnen, präsent zu sein, so dass das Denken zur Ruhe kommt. Diese Einstellung öffnet für die weiße leere Fläche des Bildes.
Den weißen Rahmen habe ich regelrecht als Erfindung und als Befreiung empfunden. Es gibt zwar auch sonst weiße Rahmen, aber es kommt auf die Funktion an. Ein weißer Rahmen ist noch ein Rahmen. Er stellt damit das Bild in unsere äußere Wirklichkeit und trennt es von ihr ab. Er stört das Bild aber nicht, weil er die gleiche Farbe wie die weiße Grundfläche hat. Der weiße Rahmen bedeutet in diesem Zusammenhang Kontemplation. In der kontemplativen, gedankenfreien Haltung, kann ich etwas Transzendentes, Jenseitiges, erfahren. Ich muss mich nur entschließen, mich darauf einzulassen.
In der Kontemplation, der gegenstandslosen Meditation, bei der die Gedanken zur Ruhe kommen, fällt letzten Endes die Trennung von äußerer und innerer Wirklichkeit weg. Die Aufhebung dieser Trennung ist eine große Befreiung. Das gilt auch für die Kunst. Der Rahmen der Quadratbilder hat die gleiche Farbe, wie das transzendente Weiß der Bildfläche. Der Rahmen stört die weiße Bildfläche nicht mehr und auf der weißen Bildfläche können sich alle Erfahrungen ungestört zeigen.
Bei meinen Quadratbildern wird dem Bild durch den weißen Rahmen mit seiner besonderen Funktion eine weitere Dimension hinzugefügt.
Der Quadratrahmen
Der Quadratrahmen unterstützt noch die Bewegung nach innen, zur Kontemplation.
Ein Quadrat scheint immer nach innen gerichtet, das Bild ist zeitlich nicht ausgedehnt und ruht gewissermaßen in sich selbst. Ein Längsformat erzählt eher von links nach rechts und ein Hochformat weist nach oben, hat eine gewisse metaphysische Ausrichtung (z. B. Kirchenfenster).
In der Geowissen Nr. 29 habe ich etwas über Quadrate gefunden. Das möchte ich festhalten: „Auf einer der ältesten Darstellung Afrikas umschlingt der Uroboros, eine geschlängelte Figur, die Ur-Ozeane, in deren Mitte sich das Quadrat der Erde befindet.“
Nach C.G. Jung bedeutet das Quadrat das Irdische. Ingrid Riedel sagt dazu („Bilder in Therapie und Kunst“, S. 192):
„Die Vier ist – wie die Drei auch – einerseits ein raumgliederndes und andererseits ein zeitgliederndes Ordnungssymbol. Als raumgliedernd ist sie vor allem auf die Erde bezogen und in dieser Hinsicht ein Totalitätssymbol: Es gliedert den Erdraum zugleich in vier Himmelsrichtungen, in vier Windrichtungen. Die Vier ist symbolisch mit der Figuration des Quadrates einerseits und der des Kreuzes andererseits eng verbunden und wird im Blick auf das Quadrat als etwas in sich Abgeschlossenes, in sich Ruhendes, im Blick auf das Kreuz als etwas Gegensatz-Vereinendes empfunden.“
Das Quadrat ist keine unbewusste Form. Es ist die Schöpfung der intuitiven Vernunft. Das Antlitz der neuen Kunst! Das Quadrat ist ein lebendiges Kind, ein königlicher Infant. Der erste Schritt zur reinen Schöpfung in der Kunst. Davor gab es naive Entstellungen und Kopien der Natur.
Kasimir Malewitsch (1878-1935)
In der kontemplativen, gedankenfreien Haltung, kann ich etwas Transzendentes, Jenseitiges, erfahren. Ich muss also den Betrachter bitten, die Bilder ganz offen, möglichst ohne zu denken, auf sich wirken zu lassen.
Die weiße Fläche
Die Leere erschreckt uns, weil sie das Sein leugnet. Solange wir außerstande sind, uns das Sein irgendwie anders als in seinem formhaften Aspekt vorzustellen, vermittelt uns die Gegenwart des Formlosen (der Hintergrund) einen falschen Eindruck von Leere, die wir augenblicklich mit Formen (Gegenständen) zu füllen trachten. Auf diese Weise versäumen wir eine herrliche Chance zu sein.
Klein, Jean: Dein wahres Ich, Freiburg 1993, S. 48
Eine weiße Fläche ängstigt uns, weil sie leer ist (lat.: horror vacui). Leere bedeutet für uns Nichtsein und davor haben wir Angst. Wir haben den Glauben, dass nur wirklich ist, was eine Form hat. Alle Mystiker, also Menschen, die das Transzendent-Göttliche erfahren haben, sagen das Gegenteil. Nur im gegenstandslosen Bewusstsein, im Schweigen des Verstandes, in der Leere, können wir das Göttliche erfahren und damit auch, dass wir unvergänglich sind: Eine Erfahrung von Frieden und Glück.
Die weiße Fläche ist die Darstellung des gegenstandslosen Gewahrseins. In diesem Gewahrsein sind wir eigentlich zu Hause oder besser: dieses Gewahrsein ist unsere eigentliche Natur. Es ist ein Zustand der Absichtslosigkeit und des Lebens im Jetzt, genau der Zustand, den Menschen erleben, wenn sie fasziniert vor einem großen Kunstwerk stehen. Ich muss also den Betrachter dazu bringen, sich auf die weiße Fläche einzulassen.
Die weiße Bildfläche ist entscheidend. Sie nimmt alle Erfahrungen auf, verhindert aber, dass der Betrachter in die Farben auf der Fläche eintauchen kann und darin versinkt. Bei den auch auf Transzendenzerfahrung ausgerichteten Bildern z. B. von Barnett Newman mit oft großen farbige Flächen, vor die der Betrachter sich in nur geringer Entfernung stellen soll oder Marc Rothkos wunderschönen Farbflächen, in die der Betrachter sich hinein versenken kann, ist der Betrachter in Gefahr, zu versinken. Er kommt dann nicht in einen hellwachen Zustand des Überbewusstseins, wie die Kontemplation es anstrebt, sondern in einen regressiven, sich in unbewusste Zustände auflösende frühere Entwicklungsstufen. Dieser Zustand wird oft mit Meditation verwechselt, hat aber nichts damit zu tun. In Meditation und Kontemplation und letztlich auch in der Kunst geht es um höheres Bewusstsein.
Zur Bedeutung der weißen Fläche habe ich einen interessanten Text gefunden:
Jeder Buchstabe der Thora birgt ein tiefes Geheimnis. Die erhabeneren Geheimnisse sind in den Vokalen verborgen, noch größere in den Noten. Das erhabenste Geheimnis jedoch liegt versenkt in dem unbeschriebenen Meer von Weiß, welches die Buchstaben von allen Seiten umgibt. Keiner kann dieses Geheimnis herauslesen, keiner, keiner kann es greifen. So unermesslich ist das Geheimnis des Weiß auf dem Pergament, dass diese ganze Welt es nicht zu fassen vermag. Es gibt dafür kein passendes Gefäß. Erst die künftige Welt wird es fassen. Dann wird man nicht mehr lesen, was geschrieben steht in der Thora, sondern das, was nicht geschrieben in ihr steht: das weiße Pergament.
(Langer, Jiri Mordechai: Die neun Tore. Geheimnisse des Chasidissidismus, Wien 2013, S. 120f, letzter Absatz)
Auf einer Steinfigur eines chinesischen Buddhas steht:
Das höchste Wahre ist ohne Bild. Gäbe es aber kein Bild, so gäbe es keine Möglichkeit, wodurch es sich als das Wahre zu manifestieren vermöchte. Das höchste Prinzip ist ohne Worte. Gäbe es aber überhaupt keine Worte, wodurch könnte es sich dann als Prinzip offenbaren?
Das Jenseitige ist ohne Bild (s. Bilderverbot im AT und im Islam). Ein leere weiße Fläche ist aber eher abschreckend. Mit Leere verbinden wir Nichtsein. Wir füllen sie möglichst schnell wieder mit etwas Gegenständlichen. Wie kann ich jemanden dazu bringen, dass er trotzdem bei der weißen Fläche bleibt? Ich muss ihn durch etwas Gegenständliches anlocken und festhalten.